: Das zähe Leben eines Mythos
■ Jaruzelski und Landsbergis in unheilvoller Tradition zum Schlachtenjubiläum vereint
Sich an die „großen Tage“ der Geschichte zu klammern und in historische Mythen einzutauchen verhilft zu ein klein wenig erborgtem Selbstbewußtsein in schweren Zeiten. Zum 580.Jahrestag der Schlacht bei Grunwald (Tannenberg) trafen sich Polens Jaruzelski und Litauens Landsbergis, um des Siegs eines polnisch-litauischen Heeres über Kreuzritter des „deutschen Ordens“ zu gedenken.
Jaruzelski gewann dem Jahrestag eine aktuelle antihegemonistische Pointe ab: Grunwald sei Symbol des Widerstands gegen eine gewalttätige, expansionistische Militärmacht. Die Botschaft Grunwalds gelte nicht nur für die Deutschen, sondern vor allem auch für ein einiges Europa, das von keinem Land dominiert werden dürfe. Landsbergis gab sich volksverbunden. Grunwald sei Symbol für den Mut, den Widerstand und den Sieg des Volkes.
Eine Auseinandersetzung zwischen feudalen Koalitionen des Mittelalters in einen „Volkstumskampf“ zwischen Polen -Litauern und Deutschen umzufälschen gehört seit der romantischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zum Kernbestand reaktionär-nationalistischen Denkens in Polen wie in Deutschland. „Grunwald“ war fortan das Signum für den angeblich 1000jährigen Kampf gegen die deutsche Ostexpansion. Nach Grunwald nannten sich bis in die Gegenwart nationalistische und antisemitische Organisationen in Polen wie zum Beispiel der Klub der Stalinisten des unsäglichen Moczar, der die Pogrome des Jahres 1968 gegen die „Zionisten“ zu verantworten hat.
Natürlich kann es nicht darum gehen, die Verbrechen des Deutschen Ordens zu verharmlosen, die Ausrottung der heidnischen Bevölkerung des alten Preußen, die skrupellose Machtpolitik. Der Deutsche Orden zog es vor, erst zu massakrieren und dann zu bekehren. Um dieses fromme Werk zu vollbringen, war er von einem polnischen Feudalen schließlich 150 Jahre vorher angeheuert worden. Gerade in der Kritik dieser Praktiken entwickelte sich eine Tradition, die dem Grunwald-Mythos diametral entgegengesetzt ist: Das humanitäre, auf der Achtung der Menschenrechte basierende Völkerrecht.
Auf dem Konzil von Konstanz zu Anfang des 15.Jahrhunderts waren es polnische juristisch gebildete Kleriker, die den Deutschen Orden des Massenmords anklagten und postulierten, daß niemandem mit Gewalt ein Glaubensbekenntnis aufgezwungen werden dürfe. Der hier eingeschlagene Weg führte über den Humanisten Adam Frycz-Modrzewski zu dem Niederländer Hugo Grotius, dem eigentlichen Begründer des modernen Völkerrechts. In dieser Tradition finden sich wirkliche Beispiele der Zivilcourage und des Eintretens für die Rechte des Volkes. Nur über sie - und nicht über die Schädelstätte von Grunwald - wird die „Rückkehr nach Europa“ erfolgen.
Christian Semler
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