: Sprechspieler, Hörenmacher
■ Der vortreffliche Günter Bommert, Hörspielchef bei Radio Bremen, hat sich in eine Art Ruhestand begeben
Als Praktikant bei Radio Bremen wurde ich eines Tages mit einem großen Stapel von Hörspielmanuskripten im Vorzimmer von Günter Bommert abgesetzt. „Lektorieren Sie mal! “ Das war in einer ruhigen, ein wenig abgelegenen Ecke des Funkhauses. Nach einiger Zeit stürmte ein älterer Herr an mir vorbei in das Zimmer Bommerts, die Tür schloß sich, und: wo ich einen lebhaften Disput vermutete, der nach außen dringen mußte, passierte nichts. Kein Laut drang aus der Tür, nur Stille. Nach anderthalb Stunden kamen die Herren, sichtbar erschöpft aus der Tür. Sie hatten Schach gespielt.
Und noch eine Erinnerung: Eines andern Tages kam Günter Bommert mit einem voluminösen Buch, das er aufgetrieben hatte, ins Zimmer. Das war irgendeine obskure Sprachstatistik, ein Buch, worin die häufigsten deutschen Wörter, die seltensten, die mit den meisten Konsonanten, die mit den meisten Vokalen aufgelistet waren. Günter Bommert zog sich zurück. Nach einiger Zeit kam er wieder und hatte Gedichte geschreiben, Gedichte nur mit den häufigsten deutschen Wörtern, und mit den seltenen, wie einige Tage vorher Gedichte, die nur aus Zahlen gem8 waren.
Diese Sprachspielereien sind gelegentlich in den STERN und sogar ins deutsche Lesebuch vorge
drungen. In der ruhigen Ecke des Funkhauses, die der Pflege des künstlerischen Wortes dienen sollte, machte sich einer mit der
Sprache über die Sprache lustig. Spätestens an dieser Stelle wird ein Verkniffener unter unseren Lesern auf dem Sofa sitzen, mit
den Zähnen mahlen und sagen: Aha, so ist das also im öffentlichen Rundfunk, da kann man während der Arbeit Schach spielen und Gedichte schreiben.
Aber ich versuche doch gerade das Gegenteil zu erzählen, nämlich einen Mann vorzustellen, der sich im Hörfunkbetrieb durch zwei Tugenden auszeichnete: durch Lust am Spielen und die Gabe der Konzentration. Gerade im Hörfunk verlernt man das Zuhören ziemlich schnell, und da kam die Art, wie Günter Bommert mit Autoren umging, schon einem kleinen Wunder an Geduld und Genauigkeit gleich. Es ist deshalb nicht nur dem dürftigen Hörspieletat von Radio Bremen geschuldet, daß Günter Bommert gerade junge Autoren förderte und ihnen seine freundliche Aufmerksamkeit und insistierende Kritik zur Verfügung stellte.
Jürg Amann etwa, mit seinen literarisch-biographischen Montagen („Liebe Frau Mermet“), Michael Gaida mit seinen chaotischen Ausflügen hinter die Hirnrinde („Apokalypso“) oder Urs Ledergerber mit seinen Monologen, die man eigentlich eher als Verwicklungen eines Subjekts mit der Sprache und ihren heimtückischen Möglichkeiten bezeich nen müßte.
Vielleicht ist es übrigens diese Fähigkeit zum inneren Monolog, die Günter Bommert so gut mit jungen Autoren arbeiten ließ: nicht irgendeine pädagogische Sendung, sondern Selbstreflektion und Selbstgespräch als Voraussetzung für Lebendigkeit und Dialog.
Kann man über so viele Jahre als Regisseur und Dramaturg an einem Stilideal festhalten? Wenn es eins gab, dann vielleicht das Ideal der Nüchternheit, der Reduktion der akustischen Mittel, der Widerwillen gegen pompöse oder bloß imitatorische Stilmittel bei den Schauspielern oder in der akustischen Illustration. Mag sein, daß das mit Bommerts Generationserfahrungen zusammenhängt. Die Nazikindheit erfüllt von Lautsprechern, und dann das stille, verlogene Pathos der Fünfziger Jahre, da war das Stilideal der Nüchternheit, einer armen, durchsichtigen Gestaltung ein Gegengift, ein klarer Anspruch. Manchmal dann vielleicht nicht offen genug gegenüber allem Trivialen oder Naiven.
Als wir einmal zusammen in einer Jury für Nachwuchsautoren saßen und ich den ziemlich ungestü
men Kolportageroman einer schreibenden Hausfrau verteidigte, guckte mich Günter von der Seite an, als hätte ich ein Plädoyer für den von ihm verachteten HSV gehalten. Der Blick bedeutete: Günter schreibt sich seine Trivialromane selber, hauptsächlich indem er über Fußball spricht.
Die künstlerischen Möglichkeiten des Radios, viel zu leicht werden sie nur deshalb verteidigt, weil jeder Bildungsbürger seine Ecke gern zum Hort der Utopie erklärt, oder weil man sich in dem intellektuell-modischen Gegensatz von Flachfunk und Anspruchsradio vorteilhafter auf der Seite des Anspruchs plaziert. Es geht aber um mehr: um starke Motive der Aufklärung, um ein leidenschaftliches Interesse an Sprache. Daß dazu Phantasie, Genauigkeit und Geduld gehört, kann man von Günter Bommert lernen. Jetzt geht er in den Ruhestand und hat mehr Zeit für Schachspiel, Geige und Gedichte. Aber (hoffentlich) nicht nur. Bernhard Glei
Unser Verfasser ist Autor und Fernsehredakteur bei Radio Bremen
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