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„Politik wird aus der Frustration der Menschen wachsen“

■ Ben Turok, Direktor des Londoner „Institute for African Alternatives“, über die Ursachen der Krise vieler Einparteiensysteme Afrikas

INTERVIEW

Jüngste Meldungen aus Somalia, Sambia und Zaire besagen, daß die dortigen Autokraten bereit sind, bei zukünftigen Wahlen mehrere Parteien zuzulassen. Somalia will nach einem Verfassungsreferendum im Februar 1991 Wahlen abhalten, das Sambia Kaundas hat sich nach den jüngsten Revolten zu einem ähnlichen Schritt entschlossen. Im Oktober soll die Bevölkerung in einem Referendum entscheiden, ob ein Mehrparteiensystem zugelassen werden soll. Zaire, wo Präsident Mobuto Sese Seko seit 25 Jahren die Alleinherrschaft ausübt, hat das Einparteiensystem „offiziell beendet“ und will nach einem Parlamentsentscheid vom Wochenende erstmals neue Parteien zulassen. (Siehe auch taz vom 17.Juli, Seite 12)

taz: Afrika durchlebt eine anscheinend beispiellose politische Krise. Es gibt Unruhen und gewaltsame militärische Unterdrückung auf dem gesamten Kontinent, die Menschen fordern einen demokratischen Wandel. Warum passiert das gerade jetzt?

Ben Turok: Der Hauptgrund und der unmittelbare Auslöser sind die IWF-Bedingungen. Das schafft den Regierungen Zwänge und für die Masse der Menschen unmögliche Verhältnisse. So verdoppelte die Regierung Sambias vor kurzem den Preis von Mais, dem Grundnahrungsmittel der Leute. Natürlich regten sich sofort Proteste, und nicht zum ersten Mal. Schon 1986 hatte die Regierung dasselbe getan und prompt Unruhen im „Copperbelt“ evoziert. Fünfzehn Menschen wurden damals von der Armee und der Polizei getötet. Auf dem gesamten Kontinent schaffte der IWF solche elenden Bedingungen für die Bevölkerung, daß es zu Aufständen kommen muß.

Diesmal sind die Aufstände aber offenbar anders. In Ländern wie der Elfenbeinküste oder Zaire verlangt die Bevölkerung mit großem Nachdruck ein Mehrparteiensystem.

Man sollte die Frage der gegenwärtigen Proteste nicht zu eng mit dem Mehrparteiensystem verknüpfen. Was jetzt geschieht, ist, daß der unmittelbare Auslöser für die Proteste der Bevölkerung ihre ökonomische Lage ist. Das ist das Wichtigste für die einfachen Menschen. Gleichzeitig spüren sie, daß ihre ökonomischen Probleme auf einer schlechten Regierungspolitik beruhen, und daher wollen sie tatsächlich den demokratischen Wandel. Und in vielen Fällen wollen sie die Regierung ändern, und das tut man, indem man ein Mehrparteiensystem verlangt. An vorderster Stelle steht nicht irgendein Glaube an das Mehrparteiensystem, sondern die Frage der Regierungsentscheidungen.

Manche Regierungen reagieren auf die Proteste, indem sie ein Mehrparteiensystem zugestehen und vorgeben, mehr Demokratie zu schaffen. Ist das ein Ausweg?

Nein. Sie geben es nur vor, wie Sie sagen. Ein Mobutu wird niemals eine wirkliche politische Demokratie schaffen. Wir sehen dies in Senegal, wo es ein Mehrparteiensystem gibt und die Regierung die Opposition unterdrückt und ihre Möglichkeiten einfacher politischer Arbeit und Wahlkampf sehr stark einschränkt. Das Mehrparteiensystem ist eine formelle Angelegenheit. Es führt zu keinem Wandel.

Gibt es Anzeichen für neuartige politische Systeme, die vielleicht von unten kommen? Gibt es den Druck für neue Systeme?

Die Schwierigkeit ist, daß die Regierungen die Herausbildung von Alternativen auf politischem Wege nicht zulassen, und daher sind organisierte Oppositionen mit politischen Programmen kaum sichtbar. In einem Einparteienstaat ist es illegal, etwas zu veröffentlichen, man kann nicht einmal einen hektographierten Rundbrief herausgeben. In Sambia kann man so etwas nicht ohne Registrierung und Erlaubnis des ZK der UNIP, der herrschenden Partei, tun. So ist es sehr schwer, einen normalen politischen Prozeß in Gang zu bringen, und man stößt auf eine enorme Frustration.

Und dennoch trifft man Gruppen von oft linken Intellektuellen, manchmal von Gewerkschaftern, die enorme Ideen, politische Vorschläge und Perspektiven haben, und die unterscheiden sich natürlich von denen ihrer Regierungen. Gäbe man ihnen die Gelegenheit, zu organisieren und zu mobilisieren, die Politik würde regelrecht aufblühen. Sie wird aus der Frustration der Menschen wachsen.

Interview: Dominic Johnson

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