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Außer Rolf, der klebt am...

■ Lilian Gerer in der Comicgalerie „Grober Unfug“

Wenn alles zum Lachen wäre, wenn die Hinterlist des einen gegen den anderen nur noch zum Lachen wär und die Lächerlichkeit, mit der man im Regen steht, zum Lachen wär‘, wenn Intrigen, die siegen, nur noch zum Lachen wären, dann gäbe es immer noch etwas auf der Welt, das ernst bliebe, nämlich die Comics von Lilian Gerer.

Lilian Gerer ist sparsam im Gebrauch der „Oings“, „Brrs“, „Boings“ und „Pengs“. Und zu Tode lacht sich keine ihrer Figuren, obwohl es ihnen in der Regel schon ziemlich schlecht geht. Selten wird in einer Ausstellung so viel gestorben. Serienmäßig trifft es immer die Falschen. Daran kann die Zuschauerin erkennen, daß es sich bei den Kunstwerken um Comics handelt. Zuerst lacht man, und dann bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Lilian Gerers Art zu zeichnen ist an ihrem sparsamen Gebrauch von Details, ihrem intensiven Einsatz der schwarzen Farbe, mit der sie die tiefsten Tiefen und die flachsten Flächen schafft, und den steinförmigen Gesichtern zu erkennen, die aus Sparsamkeitsgründen meistens nur Augen haben.

Die Geschichten, die sie malt, sind bizarr oder eben beinahe auch echt. Sie malte die Geschichte des 29jährigen, der just in diesem gesegneten Alter zum ersten Mal im Telefonbuch stand, und weil er nun aus aller Welt angerufen werden konnte, genau darauf wartete, aus aller Welt angerufen zu werden.

Oder die Geschichte der Frau, die aufwacht und blaue Flecken am Hals entdeckt. Über den Tag verteilt wird sie von drei Männern angerufen: dem Dicken, der mit ihr essen gehen will, dem Dynamischen, für den sie arbeiten soll, und ihrem Mann, der sie im Traum erwürgt hat.

Da die Gesichter der Figuren gewöhnlich nur aus Augen bestehen, gelingt es Lilian Gerer, die Liebenswürdigkeit einer Person zu unterstreichen, indem sie ihnen auch Mund, Nase oder weitere Gesichtszüge gibt. „Schadia“ zum Beispiel hat außer Augenhöhlen auch eine Iris. Sie landet in „Brudar“, und das ist der Name der Nervenklinik. Sie wird vom Arzt, der nur Augenhöhlen hat, mit Medikamenten vollgestopft. Im Traum sieht sie ihren Brudar, der wie die Nervenklinik heißt und nur Augenhöhlen hat, sieht sie den Hund, der nur Augenhöhlen und überdimensionale Zähne hat, sieht sie ihre Mama an, die auch nur Augenhöhlen hat, sieht sie, wie ihr Bruder sie zu ihrem Onkel, der nur Augenhöhlen hat, bringt, damit er sie mißbrauche.

Mit Lachen ist da nichts mehr.

Der Moron ist ebenfalls eine Geschichte, die durch die Einfachheit, mit der man über die Grausamkeit lachen will, ohne Lachen zu können, besticht. Der Moron also wird an die Wand gestellt, wo er Tag und Nacht stehen bleiben muß. Ein tristeres Dasein kann man sich nicht vorstellen. Irgendwann nimmt er Augenkontakt mit der Frau im gegenüberliegenden Haus auf, die prompt von ihrem Liebhaber aus Eifersucht umgebracht wird. Voila. Das war Moron, mit der rechten Hand gezeichnet. Bei Moron, mit der linken Hand gezeichnet, schafft es die Frau abzuhauen. Was für eine sympathische linkshändige Geste. Moron, linkshändig gezeichnet, haut ebenfalls ab.

Lilian Gerer beschränkt sich in ihren Arbeiten nicht nur auf komische Bildabfolgen, denn als solches werden Comics bezeichnet, sondern übertritt formale Grenzen, indem sie ihre Figuren auch in großen Ölbildern verarbeitet, indem sie Installationen hineinpackt und indem sie sich andere Materialien holt und sie mit Comics kombiniert. Ein Ölbild heißt Falling into Water. Eine Frau steht auf der untersten Stufe am Wasser. Die Goldfische und der eine grüne Fisch jedoch schwimmen schon auf der Häuserwand über ihr. Und genauso geht es der Betrachterin. Sie lacht über die Bilder, obwohl sie schon darin ertrunken ist.

Waltraud Schwab

Die Ausstellung läuft noch bis zum 30. August, Mo. bis Fr. von 11 bis 18 Uhr 30, Sa. von 11 bis 14 Uhr, So. geschlossen; in der Galerie „Gro ber Unfug“, Zossener Straße 32, Berlin 61.

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