: Keine müde Mark für die LPGs
■ Solange die Eigentumsfrage nicht geklärt ist, wollen die Banken die zugesagten Kredite nicht rausgeben / Westdeutsche Bauern fürchten die DDR-Konkurrenz
Bis Jahresende, so schätzte am Dienstag der aus seinem Urlaub zurückbeorderte DDR-Landwirtschaftsminister Pollack, wird die Zahl der Agrarbetriebe seines Landes geschrumpft sein. Insgesamt könne höchstens jeder zweite in der Landwirtschaft Beschäftigte seinen Arbeitsplatz behalten. Die Symptome der Krise sind benannt: Die Preise für DDR -Agrarprodukte sind in den Keller gerutscht, trotzdem finden diese Produkte weder auf dem DDR- noch auf dem westdeutschen Markt Absatz. Für ihre Lagerung fehlen adäquate Lager. Überbrückungs- und Anpassungshilfen stehen zwar theoretisch zur Verfügung, werden aber nicht ausgezahlt. Krisensitzungen im zuständigen Landwirtschaftsministerium, bei Bauern- und Genossenschaftsvertretern und angekündigte Protestaktionen betroffener Landwirte und LPG-Mitarbeiter haben schließlich bewirkt, daß gestern im Ministerrat ein eiliges Notprogramm auf den Tisch gelegt wurde (siehe nebenstehenden Beitrag). Ob dieses „Notprogramm“ allerdings wird verhindern können, daß die DDR-Landwirtschaft gehörig Federn lassen muß, darf angezweifelt werden.
Die Überlebensfrage steht und fällt mit dem Kapitalzufluß
Denn ob sie - auch abgespeckt - überleben wird, hängt nicht allein vom guten Willen ihrer Vertreter ab, sich endlich marktwirtschaftlichen Bedingungen zu stellen. „Orientieren Sie sich am Markt“, rief ihnen Bundeswirtschaftsminister Haussmann (FDP) zu, „zeigen Sie, daß auch DDR-Produkte Qualität haben! Stellen Sie Kontakt zum Verbraucher her!“
Die Überlebensfrage, gekoppelt mit dem im Westen penetrant geforderten Umstrukturierungsprozeß bei den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, hängt weitgehend vom Tempo westlichen Kapitalzuflusses und der Liberalisierung des Agrarhandels ab. Bei beidem hapert es erheblich. Der von seinen Mitarbeitern gewählte Leiter der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (P) Mittenwalde, Leu, sieht wie viele seiner Kollegen trotz seiner viereinhalb tausend Hektar nutzbaren Bodens kein Land mehr. Die LPG braucht für Löhne und die geforderten Anpassungsmaßnahmen dringend Kredite. Die Bank sagt nein. Solange die Frage des Eigentums an Grund und Boden nicht endgültig gesetzlich geregelt sei, fließt keine müde Mark auf die leeren Konten der LPG, die zudem noch in diesen Tagen gesperrt worden sind. Die Verabschiedung dieses Gesetzes aber, zunächst für Ende Juni vergesehen, zieht sich hin. Die Bauern, das hat Leu bei Gesprächen mit Kollegen anderer LPGs deutlich herausgehört, wittern absichtliche Verzögerung. Jeder Tag ist für Leu ein Schritt näher an den Rand des Ruins.
Fehlende Voraussetzungen
für die Freigabe
der Gelder
Dr. Petersen, Leiter der Abteilung Markt und Umwelt des Raiffeisen-Verbandes in Bonn, bestätigt die Zurückhaltung der DDR-Kollegen von der Genossenschaftsbank Berlin und den DDR-Volks- und Raiffeisenbanken. Allerdings sieht er andere Motive hinter dem Geiz dieser Kreditinstitute. Solange es in der DDR kein Haushaltsgesetz gebe, fehlten alle rechtlichen Voraussetzungen für eine Freigabe der Gelder. Aber auch die Verabschiedung des Haushalts braucht Zeit. In der Volkskammer hat gerade erst die 1.Lesung stattgefunden. Und die im Haushalt für das 2.Halbjahr 1990 vorgesehenen 5,5 Milliarden Mark für Anpassungs- und Überbrückungshilfen schmoren auf den falschen Konten.
Mit Krediten und Anpassungshilfen aber könnten die Agrarbetriebe in der Tat loslegen. Umstrukturierungen von reinen Tier- oder Pflanzenbetrieben in integrierte Landwirtschaften sind geplant, der Markt ist weitgehend geprüft und Sozialpläne für den längst als notwendig anerkannten Personalabbau liegen in der Schublade. „Sind sie erst durchrationalisiert, so können die östlichen Großbetriebe weitaus kostengünstiger produzieren als die kleinen im Westen“, kommentiert die Öko-Zeitschrift 'Natur‘ in ihrer jüngsten Ausgabe den unübersehbaren Flächenvorteil der DDR-Landwirtschaft. 18,17 Hektar beträgt die Durchschnittsgröße westdeutscher Höfe, 4.500 ha in der DDR. „Unsere kleinen Betriebe fürchten“, so Norbert Schindler vom rheinland-pfälzischen Bauernverband auf dem Gründungskongreß des thüringischen Bauernverbandes, „daß sie von der DDR -Landwirtschaft untergepflügt werden“.
Bedenken wegen des
labilen Agrarmarkts
Nach dem Ärger mit der EG, heißt es denn auch im Zentralorgan der bundesdeutschen Nebenerwerbslandwirte, 'Unser Land‘, stünden jetzt auch noch „Probleme mit der deutschen Einheit“ ins Haus. Und die stets besorgte 'Welt‘ sekundiert, hinter der gestern im DDR-Ministerrat vorgelegten Forderung nach totaler Liberalisierung des binnendeutschen Agrarhandels verberge sich eine Gefahr. Der ohnehin labile westdeutsche Agrarmarkt könne nämlich empfindlich gestört werden. Es bedarf „ja nur geringer Phantasie, sich die Auswirkungen auf den gerade einmal ein wenig stabilisierten Schweinepreis in Bayern oder Schleswig -Holstein vorzustellen, wenn nun der wuchernde Schweineberg nach dem Westen verfrachtet wird“.
Wenigstens diese Gefahr scheint vorübergehend gebannt. Seit Montag verarbeiten Schlachthöfe in Ost und West DDR-Schweine für den Export in die Sowjetunion.
Barbara Geier
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