Nippons Männer duften immer schlanker

Wer zur Zeit als junger Mensch männlichen Geschlechts in Japan aufwächst, hat echt nichts zu lachen. Wenn er auch noch vor hat, zu heiraten und Karriere zu machen, hat er ein Leben in Knechtschaft vor sich, denn in Japan gibt es einen beträchtlichen Männerüberschuß. Hinzu kommt, daß immer mehr junge Frauen auf die alten japanischen Traditionen pfeifen. Sie finden ihre Selbstverwirklichung im Beruf und machen einen großen Bogen um den Käfig der Ehe. Ein Junggeselle aber wird in Nippon sehr leicht als Versager angesehen, was sich äußerst nachteilig auf die beruflichen Aufstiegschancen auswirkt. In dieser verzweifelten Situation haben sich die japani

schen Schnösel unter die Fuchtel der Mode begeben.

Gut die Hälfte der männlichen Studenten in Tokio geht zum Haareschneiden nicht mehr einfach zum Friseur, nein, es muß schon ein Schönheitssalon sein. Salben, Tinkturen, Puder und Schminken, Duftwässer und Pomaden gehen weg wie nichts. Das junge starke Geschlecht kauft das Zeug, als würde es morgen verboten. Shiseido, der größte japanische Konzern für Kosmetika, hat im vergangenen Jahr allein wegen der ständig zunehmenden männlichen Kundschaft seinen Umsatz beträchtlich steigern können. Außerdem sind in den letzten drei Jahren ein halbes Dutzend Magazine erschienen, die sich gezielt an modebewußte Männer unter 30 wenden. Eines davon, 'Non-no‘, steigerte seine Auflage in kurzer Zeit um das Dreifache auf eine

halbe Million Exemplare.

Aber damit ist für die Herren der Schöpfung noch lange nicht Schluß. In ihrem unkontrollierten Narzißmus machen sie sich daran, die Natur selbst zu verändern. So haben sich für das in Japan traditionsreiche Ge

werbe der Tätowierer ganz neue Tätigkeitsfelder erschlossen. Da werden Augenbrauen durch einen dunklen Hintergrund verstärkt, und raffinierte Schatten vergrößern optisch die Augen oder lassen eine platte Nase scheinbar höher aufragen. Das Auszupfenlassen von Körperhaaren bis zur Slip-Linie gehört schon für kaum der Pubertät entwachsene Schüler zur Standardbehandlung.

Was die Figur angeht, so geht der Trend zum Skelett. Die japanischen Jungs, die wegen der Reis-, Fisch-, Gemüse- und Algen-Küche ohnehin wesentlich weniger Fett mit sich herumschleppen als ihre Altersgenossen in westlichen Ländern, wollen tatsächlich noch dünner werden. Soziologen erwarten ein Heer von männlichen Magersüchtigen. Aber es werden schöne Magersüchtige sein.

Karl Wegmann