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O Kasimir!

■ Hereingefallen. „Quadraten“, Choreografie nach Beckett, Premiere

Wie soll ich sie loben? Also: Sie stoßen niemals zusammen; in all dem emsigen Geschlurfe, niemals. Und wie sie kehrtwenden! 90 und auch 135 Winkelgrade, mit heute selten mehr erreichter Präzision.

„Quadraten“, eine Choreografie für Musik, Bewegung und Licht, das ist ein Stück, erst köstlich, dann abscheulich. Das Köstliche ist von Beckett. Da führen nämlich vier Gestalten seinen Bühnen-Handstreich ohne Worte aus, „Das Quadrat“. Sie stecken in roter, blauer, gelber, weißer Schlauchkutte mit Kapuze und

laufen gesenkten Hauptes die Quadratseiten und überkreuz die Diagonalen ab, umgetrieben von wunderlicher Musik.

Es glöckelt und schlubbert dahin, synkopisch verstolpert; darunter schwere Maschinenschläge stanzen die Zeit, welche nun dahinläuft wie ein Lochstreifen. Zum jeder Figur gehört eine Musik auf Endlosband und ein Werfer von Licht ihrer Farbe, solange sie auf der Bühne ist. Da sehen wir also im Quadrat die Figuren ihre Wege abarbeiten, hinaushuschen und wiederkehren, mit ihnen Musik und Licht, und in allem Wandel ist die enorme Gleichgültigkeit der Geometrie. Wir dürfen herrlich gefährlich nahe herantreten ans Nichts, welches seit Kasimir Malewitschs bekanntem Bild quadratisch ist, und dort, man muß schon sagen: schauen, dort schauen wir die Klassische Mechanik von allem. Witzig, wie die rennen.

Aber dann. Hätten sie einfach weitermachen sollen und dann aufhören und gehen. Statt dessen erleben wir an diesem Donnerstag im ehemaligen Straßenbahndepot Walle das beflissene Rangieren und Umherschieben einer Idee, bis daß sie ganz abgestoßen ist. Dann nämlich, nach ein wenig Zwischenmusik, kommen die Fi

guren wieder, nunmehr alle weiß gewandet, und schleppen sich elend langsam im Stillen dahin, und ihr Gang trägt jetzt die schwere Bedeutung des Beladenseins; Bedeutung, Bedeutung, ganze Hucken voll; und wie armselig sieht plötzlich das bißchen quadratische Prinzip aus unter dieser Last. Neben mir, hinter mir stöhnen und kichern welche in ihrer Bedrängnis, da muß ich doch auch wieder lachen, komisch, nicht?

Aber es ist verdorben und wird nicht mehr heil. Immer neue Ausbeuten zeigt man uns. Quadratgänge mit Musik ohne Licht, mit Licht ohne Musik. Da haben sie wieder ihr eigenes Quadrat nicht ertragen und mit ihren Variationen hurtig und ordnungsgemäß zum Thema gemacht. Wer so bauchplatschend auf den Beckett hereinfällt und ihn mit Fallunterscheidung (a, b, c, d) interpretiert, muß sich aber deshalb nicht grämen. Dann sind wir halt wieder auf der Ebene der Sekundärliteratur und entziffern Kommentare zu Kommentaren. Unserem Deutschunterricht entkommen wir im Leben nicht. scha

samstags und sonntags, 20.30 Uhr, im ehem. Straßenbahndepot Walle, Waller Heerstraße/beim Waller Friedhof

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