: SCHWARZWALDTOURISMUS VOR DEM KOLLAPS
■ Neue Strategien sollen umweltpolitisch orientierte Urlauber anlocken / Sperrung von "Tabuzonen" als Ultima ratio
Neue Strategien sollen
umweltpolitisch
orientierte Urlauber
anlocken /
Sperrung
von „Tabuzonen“
als Ultima ratio
VON THOMAS BAUR
Werden die Mittelgebirge zum Reiseziel „armer Leute“, wie es der Starnberger Studienkreis für Tourismus befürchtet? Oder gelingt es dem Schwarzwald zukünftig, sein „negatives Image“ in eine „Ferienregion mit eigenem Profil“ umzumodeln, wie es die Studie anregt? „Neue Bündnisse“ war das Schlagwort des zweitägigen Seminars über sanften Tourismus, veranstaltet von der Stuttgarter Landtagsfraktion der Grünen im idyllischen Todtmoos. Neue Bündnisse sollen das angeschlagene Image des heimischen Fremdenverkehrs wieder aufpolieren. Sie werden auch nötig sein, bei den überwiegend „schwarzen Mehrheiten“ in den Rathäusern im Schwarzwald.
Heile Welt im tiefen Tann, mit Bollenhut und Auerhahn? Nur noch vereinzelt - wie etwa vom Bürgermeister der Gemeinde Feldberg, eines der Brennpunkte des Tourismus - wird behauptet, daß der Schwarzwald schon längst den sanften Tourismus propagiere. Ansonsten belegen Untersuchungen, daß neben den Langzeittouristen jedes Wochenende die Kurzurlauber, Heuschreckenschwärmen gleich, in die Berge einfallen und den natürlichen Ressourcen des Schwarzwaldes immer mehr zu Leibe rücken. Der Fremdenverkehr „sägt sich den Ast ab, auf dem er sitzt“. Bernd Wessel, Schwarzwaldexperte, spricht von Zielkonflikten zwischen Ökonomie und Ökologie: zwischen dem Wunsch nach „naturnahen Freizeitaktivitäten“ einerseits und der Notwendigkeit zum Erhalt der noch unberührten Natur andererseits. Sein Vorschlag: den Massentourismus auf die „Rummelplätze“ zu konzentrieren, deren Schäden als Preis für die Bewahrung von anderen, empfindlicheren Regionen anzusehen und nicht noch zusätzlich anzuprangern seien. Doch die Zeit drängt: Nach Wessel hat der Schwarzwald „möglicherweise zum letzten Mal“ die Chance, ökologische Ausgleichsmaßnahmen zu beschließen. Bestehende Gesetze müßten „rigider“ angewendet werden, um so „Tabuzonen“ zu bilden. Er nennt das Beispiel des Belchengipfels, der unlängst vom Regierungspräsidium Freiburg für den sonntäglichen Individualverkehr gesperrt wurde: die Ultima ratio neben einer konsequenten Anwendung der Instrumente „Umweltverträglichkeitsprüfung“ und „Raumordnung“. Der scheinbare Makel der hinterwäldlerischen Abgeschiedenheit lasse sich dann, bei entsprechendem Marketing, wieder in klingende Münze verwandeln, kurzum: eine „Umkehrung der Werte“, die diejenigen Bevölkerungsschichten in den Schwarzwald locken soll, die sich heute an Unterschriftenaktionen gegen Autobahnen beteiligen. Gefragt ist zukünftig der Typus des „bewußten, kritischen und rational im umweltpolitischen Bereich“ orientierten Urlaubers.
Daß dieser Ansatz Früchte trägt, beweisen - wieder einmal die Eidgenossen. Verkehrsfreie Kurorte stoßen dank cleverer Vermarktung auf große Resonanz bei Urlaubern und finden auch bei den Einheimischen die nötige Akzeptanz. Für Rugerro Schleicher vom Freiburger Institut für regionale Studien in Europa ist neben neuen verkehrspolitischen Konzepten ein offensives Marketing zentrales Anliegen. „En vogue“ seien „kulturelle Ausstrahlungen“. Schleicher schielt dabei auch auf die „esoterische Psychoszene“ - als Gäste von morgen: „Neue Partner - neue Bündnisse“ müßten her. Seine Kollegin Christel Rosenberger-Balz definiert die Paare: „gesundes Essen - gesunde Natur“ oder „gesundes Wohnen in heimischen Hölzern“. Was derzeit fehlt, seien Absatzstrukturen, der Markt sei jedoch da. Nicht gemeint haben dürfte sie aber den Typ Tourist, der sich im Ruhrpott den Kofferraum mit Aldi-Konserven vollpackt. Aufgeschlossener zeige sich da schon die badische Spitzengastronomie und ihre Klientel, wenn es um die Verbindung von Gesundheit und Genuß in urigen Schwarzwaldstuben geht.
Einen Schritt weiter ist man im Kleinen Walsertal. Die Initiative für einen umweltverträglichen Verhaltenskodex kam ausgerechnet von der heimischen Hotellerie. Dort gibt es beispielsweise Bonuspunkte für Gäste, die im Urlaub ihren Wagen stehen lassen, und ein Gütesiegel für Hotels, die sich umweltbewußten Auflagen beugen. Für viele Seminaristen stellten solche Bestrebungen aber eher ein ökologisches Mäntelchen dar angesichts der Batterien von Schneekanonen am Rand der dortigen Skipisten.
Noch ist der Schwarzwald zu retten. Noch kann, ganz im Gegensatz zu den Alpenregionen, aus einer viel offensiveren Position heraus agiert werden. Darin waren sich (fast) alle einig. Unbestritten war auch, daß der Fremdenverkehr angesichts alternativer Erwerbsquellen unverzichtbar für den Schwarzwald bleibt. Unisono kritisiert wurden aber die „Umsetzungsdefizite“: Was die Stuttgarter Landesregierung in Sachen sanfter Tourismus propagiere, könne von den Grünen pauschal unterschrieben werden, beteuerte deren Pressesprecher. Nur - die Regierung handele nicht danach. Doch Qualität statt Quantität wird für die Schwarzwälder zur Überlebensfrage, wenn nicht eintreten soll, was der Leiter der Todtmooser Skischule prophezeite: „Einige werden sich ganz schön umgucken und mit tränenden Augen zusehen, wie der Zug in eine andere Richtung abgefahren ist.“ Möglicherweise nach Osten, in die DDR.
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