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Menschen, Material Maschinen, Medien

Irgendwann in dieser schier endlosen, schon über 40 Jahre währenden weltweiten Tieffriedensphase muß der ehemalige Weltkriegs-Bomberpilot im Dienste Seiner resp. Ihrer Majestät, Group Captain Leonard Cheshire, vom Jäger zum Sammler geworden sein. Da ließ er das Bomben Bomben sein und fing an, Minen zu suchen, Geldminen genauer gesagt. Er hatte sich gedacht, daß es - schon um der ausgeglichenen Bevölkerungsbilanz willen - richtig schön wäre, wenn man allmählich daran dächte, pro damaligem Weltkriegstoten je ein zeitgenössisches katastrophenbedrohtes Leben zu retten. Gerechnet, getan. Und so erfand unser - übrigens heldenhalber höchstdekorierte - Kriegs-Kalkulator zwecks Vergangenheits-Abzahlung den „World War Memorial Fund for Desaster Relief“ (Weltkriegs-Erinnerungs-Quelle zur Desaster -Ablösung).

Dieser Fonds soll also jenes Geld sammeln, das nötig ist, um Jagdbomberopfer und andere Kriegsgreuelgemetzelte wiedergutzumachen und veranstaltet deshalb heute abend in Berlin auf dem ehemaligen Todesstreifen, zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz für 150.000 Lebend und 1 Milliarde Fernsehzuschauer die größte Materialschlacht in der Rock-Geschichte: das U-Musik-untermalte Spektakel The Wall des Ex-Architekturstudenten und Weiland-Pink -Floyd-Bandleaders Roger Waters. Dabei sollen nicht nur verschiedene schon ziemlich ausgeblichene Rock-Größen wie Van Morrison, Joni Mitchell, Bryan Adams, The Scorpions, Marianne Faithfull, The Band, Jerry Hall oder gar Ute Lemper wiederauferstehen, sondern auch Millionen Dollar in der Nach -Kriegs-Kasse klingeln. Pro Totem (circa 100.000.000 Menschen), so rechnete unser tabulose Benefiz-Bomber, wolle er fünf englische Lebensrettungs-Pfund einnehmen.

Und die Rechnung ginge auf, frohlockt man schon jetzt von seiten der Veranstalter: die rund 6 Mio. DM Eintrittsgelder, die die 150.000 je 40 DM berappenden Zuschauer bezahlen, flössen direkt in den Fonds. Denn die 7,5 Mio Dollar Produktionskosten allein für Maschinerie ohne Menschen (weil Künstler bekanntlich gagenfrei gut sein müssen) seien schon durch den weltweiten Medienauftrieb inklusive Rechte zur Übertragung der Wall-Kür in 1 Milliarde Fernsehhaushalte, sowie zur Schallplatten-, Video- und Filmproduktion fast schon wieder im Kasten. Und die dann noch fehlenden paar hunderttausend Gelder kommen von der unvermeidlichen Peter -Stuyvesant-Veranstaltungs-GmbH, diversen Kleinsponsoren (Stone-Wäscher „Levis“: „Eine Show, die sich gewaschen hat“) sowie vom EG-veranstalteten „Europäischen Jahr des Tourismus“. Denn, so wird zumindest an diesem Beispiel deutlich, da zwar 11.000 Holländer und 10.000 Briten sich freiwillig zur Wall-Fahrt gemeldet haben, Franzosen und Italiener hingegen nur bereit sind, je 1.000 Mann in den Frieden nach Berlin zu schicken, scheint noch ein beträchtliches Nord-Süd-Gefälle in der Europäischen Reise -Gemeinschaft zu herrschen, weshalb eine gezielte Unterstützung solcher Veranstaltungen seitens der EG tatsächlich dringend geboten zu sein scheint.

Indes sind über 2.000.000 m2 Freifläche in der Mitte Berlins abgeriegelt bzw. „eingefriedet“ worden, wie der zuständige PR-Mann sagt. Der Friedens-Show-Platz ist bewacht wie das Nato-Hauptquartier. Auf dem Gelände selbst herrscht striktestes Alkoholverbot, das Delirium findet auf der Bühne statt. Während Ute Lempers Wunschtraum laut 'Stern‘ ein „gemeinsamer Orgasmus mit 200.000 Menschen“ ist, richtet sich das Begehren der Veranstalter auf 16 bis 20 neue Höhepunkte in Sachen Guiness-Buch der Rekorde. Schon allein die Auftrittsfläche dürfte hier den ersten Abgang bescheren: die größte Bühne, die je gebaut wurde und zu deren Errichtung zwei riesige Baukräne sowie 150 Personen angerückt sind, ist 168 Meter breit, 41 Meter tief und bis zu 25 Metern hoch. 2.500 feuerfeste jeweils 9 Kilo schwere Styroporblöcke bilden die ebenso lange und hohe Mauer, die natürlich viel schöner, höher, und klassich -backsteinförmiger ist, als ihr dort ausgerechnet aus Veranstaltungssicherheitsgründen gerade erst abgerissenes historisches Vorbild - Hollywood konnte eben immer schon alles besser als die Wirklichkeit. Ebenfalls in Sachen Verbesserung der Wirklichkeit soll die Mauer dann auch als wiederum - Höhepunkt der Veranstaltung gegen Mitternacht wann sonst - mit perfektem Timing und ausgeklügelt inszeniert in sich zusammenkrachen, auf daß die ganze Welt an dieser therapeutischen Wiederholung von ihrem Mauerzwang genesen möge.

Der Rest ist Strategie und Taktik, oder - was aufs gleiche herauskommt - Medien und Maschinen: Vom „wahrhaft mauernbrechenden Musikspektakel“ singt selbst die Polizeipressestelle. „Die Polizei“, die 400 Beamte im Westen und einige hundert im Osten einsetzt, „wünscht gute Unterhaltung und viel Spaß!“, auch wenn der Verkehr in Berlin heute zusammenbrechen wird, weil die halbe Stadt abgesperrt ist. Ab 14 Uhr läuft der Countdown, wenn die Zehntausenden durch die verschiedenen Vorkontrollen und Einlaßtore geschleust werden. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch das Vorprogramm mit Militärkapellen und Zivil -Künstlern. Ab dem Abend beginnen dann die weltweiten und gesamtdeutschen Fernsehübertragungen und zwar nach einem ausgeklügelten System live und zeitversetzt.

Und wenn man auch wieder davon abgekommen ist, das ganze Spektakel von Hubschraubern aus zu beleuchten - was endlich die damalige von Pink Floyd mit dem Geräusch eines startenden Helicopters auf Schallplatte gebannte Halluzination wieder in die Wirklichkeit rückübersetzt hätte, wenn nicht die 5.000 Meter Kabel umsonst verlegt wurden, wenn dann die „fünf 6kw Pani Gold Projektoren“ „stehende Bilder“ auf die Mauer „werfen“, „drei Interlock 35mm 7k Kinotrons“ einen Zeichentrickfilm „auf einer Fläche von 61 x 15 m“ projizieren und auf drei Projektionsflächen Trickfilme gezeigt werden, „sowohl in Front-Pojektion als auch in Rück-Projektion“, und wenn vor allem - „eine Neuheit in der Showgeschichte“ - „zwölf synchronisierte Suchscheinwerfer“ (früher hieß das Flak) „während der Show den Himmel über Berlin erleuchten“ - dann, ja dann zeigen sich Unterhaltungs- und Kriegstechnologie als das, was sie schon immer waren: eins - wobei erstere ohne letztere nicht denkbar ist. Oder wie der Kriegs- und Medientheoretiker Friedrich Kittler sagt: Unterhaltung im Zeitalter ihrer technischen Produziertheit findet nur noch unter fortgesetztem Mißbrauch von Heeresgerät statt.

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