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Der Erhalter - ein solider Handwerker

■ Die täglichen Abgänge des Human-Präparators Jörg S.

HELDEN DER ARBEIT

Nur noch ein gewaltiges Gähnen ruft jener hervor, der ein weiteres Mal den Umstand benennt, daß die westlichen Industrienationen den Tod aus ihren soziokulturellen Systemen verdrängt haben. Zwar preisen ihn heute einige Handelsvertreter in Sachen New Age als „das große Abenteuer“, doch in der Regel überlassen Frau und Mann die finale Entsorgung lästiger Ahnen rührigen Spezialisten. Ein solcher soll diesmal stellvertretend für seine Zunft zum Helden der Arbeit erkoren werden. Seine pietätsleere Tätigkeit mitten hinein gestellt in einen lebensfrohen Sommertag - aus angenehmen Träumen erwacht, räkelst du dich zwischen frischgewaschenen Laken, eine warme Brise bewegt die Vorhänge, trägt Kinderlachen und anregende Radioklänge zu dir, später wird Susi Milchkaffee und Croissants zum Frühstück servieren, doch zunächst scheinen Hormone lediglich in der Lendengegend tätig zu sein, du weißt schon, dies ist dein Tag, das „Rama„-Gefühl.

Jörg S. also ist Präparator. Er lebt in einer WG, die auch Jörgs erstaunliche Familie akzeptiert: eine gebrauchte Gummipuppe, die dem sexuellen Verkehr dient, sowie ein Fötus, den er von der Arbeit heimbrachte. Ob ihn eine innere Berufung habe seinen Job ergreifen lassen? „Nun, ich wollte früher einmal Leichenwäscher werden. Es gibt da dieses Gerücht, das sich inzwischen wohl an die Jahrzehnte hält, daß Leichenwäscher ständig gesucht und gut bezahlt werden. Völliger Schwachsinn. Das habe ich also nicht gemacht. Als ich dann einmal beim Arbeitsamt rumsaß, sah ich mir deren Arbeits- und Ausbildungsangebote an. Darunter fand sich eben die Möglichkeit, Präparator zu werden. Mich hat weniger interessiert, daß die Leute, an denen ich arbeite, tot sind, ja, nicht diese moralische Geschichte, sondern ganz einfach, daß der Job Fingerfertigkeit erfordert, solides Handwerk verlangt.“ Ärzte, die zum Wohle der Wissenschaft geschichtlich souveräne Objekte zerlegen und ausweiden, haben doch noch immer diese Aura des Unheimlichen. Ich denke da an Leichendiebstähle, Schwarzweißfilme, in denen bedeutsam Nebel wallt... „Okay, okay. Wir arbeiten im Krankenhaus. In der Pathologie. Mitunter triffst du da noch immer diese Frankensteingestalten an, die niemals irgendeine Ausbildung hatten, die irgendwie da gelandet sind und dem Arzt zur Hand gehen. Die können teilweise wesentlich besser sezieren als die Ärzte.

Wir bekommen täglich unsere Abgänge, die wir so schnell wie möglich unters Messer nehmen. Die Leichen werden aufgeschnitten, zuerst das Gehirn untersucht, dann entnehmen wir die Organe und sezieren die. Gucken da nach irgendwelchen Anomalien und so. Wenn dann alles getan ist, packen wir die Innereien wieder in den Körper und nähen zu. So sollte es zumindest sein. Du hast aber nicht in allen Krankenhäusern genug Platz. Wo ich jetzt zum Beispiel arbeite, da entnehmen wir nur die Innereien und stopfen am Ende Holzwolle rein, nähen zu, und die Organe wandern in den Abfall.

Schön, es gibt Leute, die keine Sektion wünschen. Die Gesetzeslage war immer ein bißchen undurchsichtig. Vor kurzem wurde nun die eigentlich gängige Praxis legitimiert. Wenn die Angehörigen nicht innerhalb von Stunden mitteilen, daß sie nicht wollen, daß die Leiche seziert wird, dann gehört das Fleisch uns. Es hat da gelegentlich Ärger mit Typen gegeben, deren Aberglaube ihnen eine Ausweidung untersagte.“ Wie ist es mit Organspendern? „Da ist ja zunächst mal zu sagen, daß es in Deutschland kaum Organspender gibt, die Quote ist miserabel. Falls nun doch einer unter den Leichen sein sollte, dann wurde dem das entsprechende Organ bereits im Operationssaal entnommen. Unsere Arbeit ist in keiner Hinsicht aufregend. Alle Fälle, bei denen die Todesursache ungeklärt ist, wandern sowieso zum Staatsanwalt, zur Gerichtsmedizin also. Das schließt Unfälle usw. ein.

Gelegentlich finden wir mal eine Prothese, einen Herzschrittmacher und so, das macht dann den Job etwas spannender, doch ansonsten... Dazu kommt ja noch die Tatsache, daß sich nur noch die wenigsten Krankenhäuser um eine ständige Ausstellung von Exponaten bemühen. Als ich in Neukölln ausgebildet wurde, da begann ich damit, deren uralte Teile wieder in Ordung zu bringen, neu zu fixieren und so. Dank der Gesundheitsreform aber haben die Krankenhäuser oft gar kein Geld, um besondere Fälle zu konservieren. Die machen Dias, und das war's. In der Charite sollen sie sogar noch Moorleichen haben - aber bei uns...

Neulich habe ich zum Beispiel einen Schenkelknochen präpariert. Das ganze Fleisch abgeschabt, den Knochen eingelegt und so. Das war schon interessant. So was steht dann später in irgendeiner Schule, ja, als das menschliche Skelett. Unsere Techniken haben sich immer weiter verbessert - nur können wir sie kaum mehr zur Anwendung bringen. So besteht die Möglichkeit, Organe mit Plastik vollzupumpen. Die müssen dann nicht später in Formalin fixiert werden, sondern können in die Hand genommen werden. Sie sind sogar richtig weich, die kannst du drücken, bewegen, wie echt.“ Organe, die dank handwerklicher Befähigung zu artifiziellen Objekten werden, und mechanische Prothesen, die im Leib die Funktion von wirklich authentisch-natürlichen Organen übernehmen. Ob Jörg S. seiner heldischen Arbeit noch andere humoreske Aspekte abgewinnen kann? „Okay, Nekrophile habe ich bei uns noch nicht angetroffen. Da war mal ein Typ, der hat seine 'one-night-stands‘ in unsere Halle geschleppt. Hat erzählt, er müsse nach den Leichen sehen - die Tür verschlossen und die Frau auf einer der Bahren hergenommen. Aber wirkliche Nekrophilie, nee. Die einzige Anekdote, die ich kenne, ist wie aus einer schwachsinnigen Komödie. Gegen jede Regel hatte da ein Leichenbestatter Särge einen Tag zu früh abgeliefert. Und die standen nun bei uns rum. Einige meiner Kollegen haben sich dann zu Feierabend mächtig einen angesoffen. Die waren so blau, daß sie sich in den Särgen ein wenig ausruhen wollten und darin eingeschlafen sind. Am nächsten Morgen kam eine MTA vorbei - die bekam einen Schreikrampf und rannte durchs ganze Krankenhaus. Ich sag‘ ja, wie aus einem schlechten Film.“

Eher beiläufig erwähnte er übrigens den Umstand, daß er im Krankenhaus nur die dort anfallenden Leichen zu Gesicht bekomme. Für die daheim Verstorbenen sei sofort die Kette Arzt-Leichenbestatter zuständig. Eine Ausnahme allerdings gebe es. Gelegentlich würden Sozialhilfeempfänger ihren Körper einer Klinik vermachen. Die übernehme dann nämlich die Begräbniskosten.

Rudolf Stoert

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