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KPdSU-Austritte mit Bauchschmerzen

■ Die Konstituierung der „Demokratischen Plattform“ als eigenständiger Partei verursacht manchem Ex-Kommunisten Probleme / „Eine Partei, die den Respekt vor begabten Leuten wiederherstellt“ / Sozialdemokratie ohne Antikommunismus?

Aus Moskau K.-H. Donath

So viel steht schon einmal fest: „Weder kommunistisch noch antikommunistisch“ will sich die „Demokratische Plattform“ zukünftig ideologisch im neuen Mehrparteiensystem der UdSSR verorten. Ihren Wortführern, darunter Wladimir Lyssenko, Wjatscheslaw Schostakowskij und Anatolij Sobtschak, schwebt eine sozialdemokratische Partei westlichen Zuschnitts vor. Mag es auch nur eine taktische Finesse sein: Im Braintrust der DP hält man es tatsächlich für möglich, Sozialdemokrat zu sein, ohne antikommunistische Ressentiments zu hegen. Eine historische Errungenschaft, zweifelsohne.

Doch anders als in den luftigen Höhen der prominenten „Aussteiger“ ist die Luft an der Basis stickig. Hier wird stereotyp gedacht. Das Bedürfnis, sich der Vergangenheit auf die Schnelle zu entledigen, ist groß. Auf dem Koordinierungstreffen der DP, kurz nach dem Parteitag, kratzten einige Delegierte die Insignien der Partei aus ihrem rotweißen Sticker. Vorher stand hier „Demokratische Plattform in der KPdSU“. Natürlich wissen die meisten, daß es mit dem Kratzen nicht getan ist. Es bleibt das Verlangen nach einer klaren Entscheidung in einer chaotischen Zeit: sa ili protif, dafür oder dagegen, so exerzieren es die Abstimmungsmaschinen der Parlamente allabendlich im Fernsehen vor. Und das Denken folgt eben diesem Muster. Viele Sympathisanten der DP, die den Schritt aus der Partei nicht mitgegangen sind, müssen sich daher dem Vorwurf aussetzen, „unmoralisch oder sogar kriminell“ zu sein, beklagte Len Karpinsky, Mitglied des Koordinierungsausschusses der DP, der selbst die Partei noch nicht verlassen hat. Der alten Denkweise des richtig oder falsch konnte sich auch die DP nicht entledigen. In dem Vorwurf, es sei eine Schande noch in so einer Partei zu sein, schwingt natürlich eine Menge Unaufrichtigkeit mit, wie es Karpinsky formuliert. Denn alle hätten vorher gewußt, um was für eine Partei es sich handelte. Die schwierigste Frage jetzt sei, der Verantwortung auszuweichen oder sie mit der Partei gemeinsam zu teilen. „Wurde ich früher als Dissident in der KPdSU angesehen, fürchte ich jetzt, sollte ich drinbleiben, auch in der DP als Außenseiter zu gelten.“

Die Zahlen über die Anhängerschaft der DP schwanken. Wladimir Filin sprach kürzlich von zwei Millionen Sympathisanten, aber es wurden auch bescheidenere Angaben gemacht. Das größte Problem der neuen Organisation besteht darin, ihre Sympathisanten zu registrieren, da sie kaum über eine Infrastruktur verfügt. Die ist nach wie vor fest in der Hand der KPdSU. Die Hochburgen der DP liegen in den großen Städten der Russischen Föderation, in Moskau und Leningrad, wo sie auf Unterstützung weiter Teile der jüngeren Intelligenz trifft. Doch schon in der Ukraine sieht es anders aus. Hier sind es lokale und national orientierte Gruppierungen, die an einer von Rußland ausgehenden Opposition kein Interesse zeigen. Schwierig ist es auch auf dem Land, wo die alten Strukturen ungebrochen fortwirken. In den letzten Monaten haben allein 130.000 Parteimitglieder die KPdSU verlassen. Aber wie es Wjatscheslaw Schostakowskij befürchtet hat, verabschieden sich viele der Unzufriedenen auf immer vom politischen Leben. Um solche Leute anzusprechen, müßte bereits eine Infrastruktur bestehen, an der es allerorten gebricht. Es gibt noch genügend Genossen in der KPdSU, die zwar mit den groben programmatischen Vorstellungen der DP - „eine Partei, die den Respekt vor begabten Leuten wiederherstellt“ - und ihrem Eintreten für Marktwirtschaft und Pluralismus übereinstimmen, aber dennoch zögern. Jegor Jakowlew brachte ihre Zurückhaltung auf den Punkt. Gibt es wirklich Hoffnungen auf eine andere Partei als die jetzige KPdSU? fragte er. Man dürfe nicht aus dem Auge verlieren, welche Macht sie repräsentiere, an die eine andere Partei nie heranreichen könnte: Die Armee, der KGB, die Elite in allen Bereichen der Volkswirtschaft, die Dominanz in fast allen sozialen Lebenssphären. Hinzu kommt noch das riesige Parteivermögen, das die DP mit 100 Milliarden Rubel bezifferte. „Man mag lamentieren“, so Jakowlew, „aber es ist so. Können wir es uns wirklich erlauben, dies alles der ungeteilten Kontrolle der Konservativen zu überlassen und ihnen damit von innen heraus freie Hand zu geben?“ Mit dem Austritt aus der KPdSU hat man den Konservativen kein besseres Geschenk machen können, meinte der radikalliberale Berater Gorbatschows. Und zwischen den Parteigängern der DP ist dieser Konflikt noch lange nicht ausgestanden.

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