: Sommer-Menetekel '90
■ Über den neuen Trend zum integrierten Arbeitsurlaub
Helmut Kohl macht es schon richtig. In der bequemen Strickjacke wandert er mit Gorbi durch den Kaukasus und erledigt nebenher noch seine Schulaufgaben in der Weltpolitik. George Bush joggt mit Freunden zum Weltwirtschaftsgipfel ins texanische Houston, und Fran?ois Mitterrand fliegt im leichten Diensthelikopter zum 25jährigen Jubiläum des Montblanc-Tunnels, um anschließend in der angenehmen Begleitung seines italienischen Amtskollegen Cossiga im berühmtesten Restaurant des Aosta -Tals, Lasagne valdostane und Carbonata con polenta zu sich zu nehmen. Während sich allein am vergangenen Wochenende fünf Millionen Italiener mit aller Verve in die diesjährige Urlaubsschlacht warfen und zielsicher die endlosen Staus der europäischen Ferienkarawane ansteuerten, hat die politische Elite längst begriffen, daß die Zukunft dem integrierten Arbeitsurlaub gehört. Die gegenwärtige Hitzewelle in weiten Teilen Europas offenbart auf dramatische Weise, daß die ökologische Katastrophe auch vor dem traditionellen Sommerurlaub nicht haltmacht und - wie bei der Müllfrage und dem Problem der Nitratbelastung des gesamteuropäischen Ackers - angepaßtes Verhalten verlangt.
Die Menetekel sind unübersehbar. In Frankreich mußte wegen Hitze und langanhaltender Trockenheit schon das Trinkwasser rationiert werden. Einige Hotels an der Adria sind sogar gezwungen, das Geschirrspülen einzustellen. Waldbrände in Italien, Spanien und an der Cote d'Azur verringern die kostbaren Baumbestände immer weiter, während nur noch die ungeklärten Abwässer durch das vielerorts ausgetrocknete Bett ehemals reißender Flüsse rauschen. Touristen fliehen in Richtung Norden oder schließen sich in ihre Appartements ein, bis der Abend anbricht. Auch die Tiere bleiben von der glühenden Hitze nicht verschont. Im Londoner Zoo mußten Tapire mit Sonnencreme gegen die extreme UV-Strahlung geschützt werden, während die Japaner auch hier versuchen, mit Öko-Hightech Erfolg zu erzielen: Nippons Kühe sollen demnächst mit biologisch an- und abbaubaren Öko-Sakkos ausgestattet werden, um die schädlichen Folgen der abnehmenden Ozonschicht auszugleichen. Gleichzeitig werden die Biervorräte aufgebraucht: dem häufig letzten Rettungsanker droht der Tod im Klimachaos. Wenn dann noch die Inntalbrücke wegen Einsturzgefahr gesperrt werden muß und der gesamte Zugverkehr im Pariser Bahnhof Saint Lazare wegen überhitzter Geleise zusammenbricht, wird klar: der Opel Ascona mit Gepäckträger und Surfbrett ist das Sinnbild des achten apokalyptischen Reiters.
Die Konsequenz liegt auf der Hand: Urlaub am Schreibtisch, Arbeitsessen auf der Sonnenterrasse, Entspannung bei kreativer Berufstätigkeit. Auch hier muß zusammenwachsen, was zusammengehört. Arbeit und Freizeit sind Kategorien aus der Prähistorie der Moderne. Wenn Töpfern und Batiken, Ausdruckstanz und italienische Grammatik inzwischen zum Pflichtprogramm jedes anständigen Bildungsurlaubs gehören und der von Champagnercocktails durchtränkte Arbeitstag eines mittleren Angestellten mühelos in die happy hour hinübergleitet, dann sind die alten Grenzen verwischt, ist die Teilung zwischen Leben und Arbeiten obsolet geworden. Daß Helmut Kohl, der Macht und dem Gesetz folgend, trotz alledem auch dieses Jahr im Wolfgang-See rudern wird, bestätigt nur den Hang zum Gesamtarbeitsurlaub. In weltenstürzender Zeit wird auch das bescheidenste österreichische Ruderboot zum Arbeitsplatz der deutschen Einheit.
Reinhard Mohr
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