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Städtebaupolitik gegen Rassismus

■ Mantes-la-Jolie, ein Vorort von Paris, soll sich aus einem Ghetto in eine Stadt verwandeln / Funktionierende Fahrstühle und Mitbestimmung zum Abbau von rassistischen Vorurteilen / Doch neue Citoyens entstehen nur langsam

Aus Paris Alexander Smoltczyk

Die Seine hinunter, fünfzig Kilometer durch Landschaft im Wandel, Noch-Land und Noch-nicht-Stadt. Kleine Einfamilienhäuser und große Straßen - der Sog der Hauptstadt läßt im weiten Umkreis keinerlei Stilleben zu. In Poissy das Talbot-Werk, einen Seinebogen weiter die weiten Hallen von Renault-Flins, wo sich die maoistische „Proletarische Linke“ noch lange nach dem Mai 68 Guerillagefechte mit den Flics lieferte. Und dann: Mantes-la-Jolie, 45.000 Einwohner, nordwestlichster Vorposten der Pariser Banlieue, zum Großteil in den Sechzigern gebaut, um die Autoarbeiter des Seinetals von der Hauptstadt fernzuhalten.

Die doppelgeschossigen Vorstadtzüge, die stündlich nach Paris fahren, sind zweimal am Tag proppenvoll: vor der Schicht und nach der Schicht. Fast jeder zweite berufstätige Manteser kommt nur zum Schlafen in seine Stadt und verdient sein Brot in den Pariser Büros und den Fabrikhallen am Seineufer. Aber das hat Mantes-la-Jolie mit den meisten Städten der Pariser Region gemein, ebenso wie jene kurioserweise „Cites“ genannten Fertigblock-Wohnreservate an den Stadträndern, mit denen die Planer der Boom-Jahre allen Landflüchtlingen aus der Bretagne und Auvergne, iberischen Arbeitsimmigranten und angeworbenen Maghrebinern ein billiges Dach über dem Kopf verschaffen wollten.

In kaum einem anderen (west-)europäischen Land wurde die Strategie des „quadratisch, praktisch - und kein Kino“ so unbeirrt und flächendeckend praktiziert wie in Frankreich. Als „französische Häuser“ tauchen die Cites sogar in den Architekturlehrbüchern der Nachbarländer auf.

Türme

zu Babel

Als im Laufe der Zeit die Hautfarbe der Armen dunkler wurde und sich die französischen Prolos in kreditfinanzierte Standard-Einfamilienhäuschen hineinverbesserten, begannen die Cites, ob in Saint Denis oder Nanterre, sich langsam in Ghettos zu verwandeln.

Die zwanziggeschossigen Wohnblocks wurden in den Achtzigern unaufhaltsam zu Türmen von Babel, bewohnt von kinderreichen Familien aus Schwarzafrika und dem Maghreb, von Boat people, Ostemigranten und farbigen Franzosen aus den Kolonien - und argwöhnisch beäugt aus den umliegenden, festungsartig eingefriedeten Häuschen („Hier wache ich“), bei deren Bewohnern die Demagogie eines Jean-Marie Le Pen auf durchaus offene Ohren stößt.

„Le Val-Fourre“ am Westrand von Mantes ist eine dieser Siedlungen, und eine der größten noch dazu: 8.300 Wohnungen, 28.000 Bewohner, über dreißig verschiedene Ethnien und Nationalitäten - vor allem Marokkaner, Portugiesen, Senegalesen. „Zu viele. Sehen Sie nur die ganze Grafitti, die eingeschlagenen Scheiben. 90 Prozent Ausländer, das geht nicht gut...“ - im örtlichen Ableger des Manteser Rathauses wird dem Besucher noch der Standarddiskurs verabreicht.

Daß der Anteil der Ausländer in Val-Fourre nur 50 Prozent beträgt, mag die blonde Matrone im Empfang nicht glauben. Verständlich. Als zuständiger Kummerkasten hat sie oft tagelang ausschließlich mit Ausländern zu tun. Aber allein die Tatsache, daß es ein Nebenrathaus in der Siedlung gibt und daß es zusammen mit Kino, Theater, Bibliothek in einem adretten „Informations- und Animationszentrum“ untergebracht ist, zeigt, daß Stadtpolitik in Mantes-la-Jolie anders verläuft, daß hier im Seinebogen vorsichtig praktiziert wird, wovon in der Hauptstadt nur auf Kolloquien und Sylvesteransprachen die Rede ist: Die Integration der Ausgeschlossenen.

Nehmen wir die Rue Galilee, gleich hinterm Bahndamm. Hier steht seit 1981, von oben bis unten mit grünlichen Mosaiken bedeckt, eine der wenigen neugebauten Moscheen Frankreichs einem Land wohlgemerkt, in dem der Islam zweitgrößte Religion ist. Zweimal hatten Anwohner den Bau verhindert, jetzt haben sie sich daran gewöhnt, auch wenn „die Lautsprecher oft zu sehr aufgedreht“ sind, wie eine Anwohnerin anmerkt.

Stadtplanung

gegen Rassismus

Aber nicht nur durch die Moschee unterscheidet sich die Straße von den Cites anderswo. Auf den Balkonen blühen die Geranien, Papierkörbe stehen vor jedem Eingang und die Namen an den Briefkästen sind in ihrer nationalen Herkunft ebenso gemischt wie die Fassaden der Wohnblocks: „Die Verwaltung hat monatliche Mieterversammlungen organisiert. Auf denen konnte sich jede Partei aussuchen, welche Fassadenart sie gerne hätte. Wir haben Holzschindeln genommen“, erzählt die junge Algerierin aus dem „Centre Frederic Chopin“ um die Ecke.

Eine Kleinigkeit? „Sorgt dafür, daß die Fahrstühle in den Sozialwohnblöcken funktionieren“, hatte der Präsident von SOS-Racisme, Harlem Desir, den Politikern auf die Frage geantwortet, was man denn gegen Ghettobildung und Rassismus tun könnte. Und Roland Castro, ehemaliger Studentenführer, Architekt und Initiator von „Banlieues 89“, einer Initiative zur städtebaulichen Aufwertung der Vorstädte, hofft: „Wo die Politik der Bürgermeister darauf abzielt, die Cites aufzuwerten, in denen die Immigranten konzentriert sind, eine aktive Kultur- und Stadtpolitik durchführt, dort kann der Stimmenanteil für Le Pen zurückgehen.“ Kurz: Für die Armen das Beste, damit sie sich auch das Verhalten der „besseren Leute“ leisten können.

Zumindest die Fahrstühle funktionieren in Val-Fourre. Unter dem sozialistischen Bürgermeister Paul Picard schloß die Stadt 1981 einen Vertrag mit dem Staat, in dem sie als eine von 23 Cites in Frankreich zur förderungswürdigen Zone erklärt wurde. Mit den Krediten wurde versucht, mittels Balkonen, Erkern, Vorbauten, Parkanlagen etc. aus Kästen Wohnungen zu machen. Inzwischen wurde die Maßnahme auf 300 Problemgebiete ausgedehnt. Mit den örtlichen Verwaltungen der Sozialwohnungen unterschrieb der Gemeinderat von Mantes 1988 ein Abkommen, durch das verhindert werden soll, daß sich in einer Siedlung ethnische Ghettos herausbilden.

Eine Politik, die bislang allerdings oft daran scheitert, daß sich zu wenig französische Familien finden, die bei der erwünschten Mischung mitmachen wollen. Die Charta räumt der Gemeinde ebenfalls Mitspracherecht bei der Wohnungsvergabe ein, so daß verhindert werden kann, daß gewisse Gruppen, wie kinderreiche Familien aus Schwarzafrika, zu Dauergästen auf der Warteliste werden. Seit Juni letzten Jahres wird die Mantessche Wohnungspolitik auch von der EG unterstützt.

Neue Cite

alte Citoyens

Val-Fourre hat sich durch die neue Politik verändert. Die Busse zur Innenstadt fahren pünktlich, die Telefonzellen funktionieren, die kommunalen Grünpflanzen versehen wacker ihren Dienst. Nur - in den Köpfen ist vieles beim alten geblieben, weil eine neue Cite eben doch nicht immer auch neue Citoyens schafft: „Durch den finanziellen Mechanismus der kommunalen Solidarität wird der Rassismus geweckt. Die kleinen Haushalte, vor allem die alten Mitbürger, haben das Gefühl, für die kinderreichen Familien mitbezahlen zu müssen - und das sind nun einmal die Immigranten“, gibt der Bürgermeister zu.

Bei den letzten Gemeinderatswahlen im März vergangenen Jahres wurde Picard nur knapp wiedergewählt. Und die Front National kam in der Altstadt von Mantes auf satte 20 Prozent - die Ausländer in Val-Fourre durften ja nicht wählen...

Noch hat Bürgermeister Picard eine Amtszeit lang Ruhe. So stehen die Chancen gut, daß daß das alljährliche Multikulti -Musikfestival „Big Bang Banlieue“ im nächsten März einen dekonstruktiven Höhepunkt erleben wird: die Sprengung der zwei häßlichsten Wohntürme von Val-Fourre.

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