Im Prinzip gilt bundesdeutsches Recht...

■ Seit gestern liegt der Rohentwurf des Einigungsvertrags zwischen Bonn und Ost-Berlin vor / Uneinigkeiten bestehen noch in der Frage von Grundgesetzänderungen, beim Recht auf Kriegsdienstverweigerung und der Verteilung der Steuern der neuen Länder

Bonn (ap/taz) - Das Rohgerüst für den Einigungsvertrag, der die Einzelheiten des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik regelt, steht. Nach knapp zweiwöchigen Fachgesprächen der Ministerien in Bonn und Ost-Berlin präsentierte das federführende Bundesinnenministerium gestern einen rund 700 Seiten umfassenden Katalog, der penibel die Gesetze und Bestimmungen auflistet, die nach dem Beitritt auf dem Gebiet der DDR in Kraft treten sollen.

Bei mehreren Punkten sind die unterschiedlichen Positionen von DDR, Bund und Ländern genannt. Das Vertragswerk soll nach Abstimmung mit Bundesländern und Bundestag in der kommenden Woche mit der DDR-Regierung weiterverhandelt werden.

Das Rechtssystem der Bundesrepublik soll nach dem Vertragsentwurf bei der Vereinigung in möglichst weitem Umfang auf die DDR übertragen werden. Dort ausgebildete Juristen sollen ihren Beruf weiter ausüben können, aber auf DDR-Gebiet beschränkt bleiben. Nach dem Entwurf wird es eine Reihe von Grundgesetzänderungen geben, über die aber noch unterschiedliche Vorstellungen herrschen. Neben der unumstrittenen Aufhebung oder Änderung des Artikels 23, der die Möglichkeit zum Beitritt bietet, drängen die Bundesländer auf eine Stärkung ihrer Kompetenzen und wollen dafür die Artikel 24, 32 und 72 geändert sehen, was die Bundesregierung ablehnt. Umgekehrt fordert Bonn die Möglichkeit zur Neugliederung des Bundesgebiets und deshalb die Änderung des Grundgesetzartikels 29. Erforderlich aus Sicht des Bundes werden auch eine Neufassung des Artikels 146, der das Ersetzen des Grundgesetzes durch eine mit Volksentscheid beschlossene Verfassung möglich macht, und ein zusätzlicher Artikel, der unterschiedliche Gesetze in den Gebieten der zuvor bestehenden zwei Staaten erlaubt.

Grundsätzlich gilt nach dem Entwurf die Priorität des bundesdeutschen Rechts. Allerdings sollen zunächst so viele Sonderregelungen für die DDR gelten, daß Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble anmerkte, es gebe „ungefähr so viele Ausnahmen wie die Regel“. Einer der größten Streitpunkte ist die Einführung der Bestimmungen über finanzielle Regelungen. Das beginnt bereits bei der Verteilung des Steueraufkommens. Die DDR plädiert dafür, daß ihre Länder und Gemeinden bis Ende 1994 das gesamte Steueraufkommen auf ihrem Gebiet behalten können und auch die Bundessteuern nicht abführen müssen. Diese Position ist für den Bund „nicht akzeptabel“, weil „damit ein zusätzlicher Finanztransfer zugunsten der bisherigen DDR von 30 bis 40 Milliarden Mark jährlich verbunden wäre“.

Für die Arbeitnehmer der öffentlichen Verwaltungen in der DDR sollen im Prinzip die Arbeitsverhältnisse weiterbestehen. Angesichts des im Vergleich zur BRD enormen Wasserkopfes an Verwaltungsmitarbeitern ist allerdings in den „Übergangsvorschriften für den Öffentlichen Dienst“ eine Bestimmung enthalten, nach der eine Kündigung „auch dann sozial gerechtfertigt“ ist, wenn „der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist“ oder „die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wird“. Die Weiterbeschäftigung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst wird ausdrücklich ausgeschlossen, wenn „dadurch ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint“. Eine Einigung erreichten die Ministerialbeamten auch in der Frage, was mit den Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes geschehen soll. Danach ist die „sichere Verwahrung und Nutzung“ zunächst Aufgabe der DDR -Regierung und später der Bundesregierung. Während alle „rechtswidrig erhobenen und aufbewahrten personenbezogenen Unterlagen“ über Bundesbürger „ohne weitere Auswertung“ vernichtet werden sollen, ist für die Stasi-Erkenntnisse über Terrorismus „eine gemeinsame Auswertung der zuständigen Stellen der DDR und der Bundesrepublik“ vorgesehen.

Offen blieb die Frage, was mit den unrentablen und sanierungsbedürftigen Industriebetrieben auf DDR-Gebiet geschehen soll. Während Bonn dies als eine Aufgabe der „Treuhandanstalt“ für das volkseigene Vermögen ansieht, meint Ost-Berlin, daß die erforderlichen Mittel „in Milliardenhöhe“ die Finanzkraft der Treuhandanstalt überfordern.

Umfangreiche Verhandlungen sind nach dem Entwurf noch zwischen den Sozialressorts beider Staaten nötig. Umstritten sind unter anderem der in der DDR gezahlte Sozialzuschlag, das Leistungsrecht und die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Ostberliner Sozialministerium dringt beispielsweise darauf, die Bestimmungen über Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder und soziale Betreuung beizubehalten. Dagegen hält das Bonner Sozialministerium „die Aufrechterhaltung günstigerer Arbeitsrechtsregeln für das Gebiet der DDR für nicht akzeptabel“.

Zu keiner Einigung kam es auch bei den Verhandlungen über ein künftiges gesamtdeutsches Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Bonn lehnt die Übernahme des DDR -Rechts, das eine Wahl zwischen Wehr- und Zivildienst erlaubt, aus verfassungsrechtlichen Gründen ab.

bg