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Der Sport rüstet ab

■ Vorbei die Zeiten des Klassenauftrags im Sport: Mit viel gutem Willen alte Verhaltensmuster sprengen

PRESS-SCHLAG

Die Spiele des Guten Willens, die zur Zeit in Seattle ums Überleben kämpfen, werfen alle herkömmlichen Konzepte der Sportgeschichte über den Haufen. Denn wenn man sie wirklich ernst nimmt, könnten die Goodwill-Games ein erstes Zwischenergebnis sportpolitischer Abrüstung sein. Von „beat the russians“ als Grundmotiv für die Nominierung US -amerikanischer Olympiateams ist keine Spur mehr vorhanden. Das freudvolle Zusammenführen amerikanischer und sowjetischer Sport-Freunde und die harmonische Integration der Kameraden aus dem kleinen Rest der Welt lassen die Sport -Nationalisten überall verdutzt in ihre Fernsehsessel sinken. Noch nicht einmal eine knallharte Länderwertung ist erschienen!

So wird etwa nach den Boxkämpfen zu beobachten sein, wie der Verlierer seinen Bezwinger komplimentiert: „Das war aber toll, wie du mir die Fresse poliert hast. Du warst wirklich super drauf.“ Und dann wird der Sieger den Geschlagenen gönnerhaft in den Arm nehmen und beide putzen brüderlich vereint das Blut vom Mundschutz. Die nächste Stufe der Verbreitung des guten Willens könnte die Mischung vollkommen überholter und antiquierter Nationalmannschaften sein. Bunt zusammengewürfelte Staffeln, Bootsbesatzungen und Ballteams wetteifern wieder aus purer Freude am Sport...

Die Frage ist nur, ob die Sportwelt das überhaupt sehen will. Und ob vor allem in den sich abwechselnden Austragungsländern USA und UdSSR die Goodwill-Message verstanden wird. Wie schön übersichtlich war doch die Zeit des sportpolitischen Klassenauftrags. Wie kribbelnd war doch die Frage, ob die Faustkämpfer sich nicht auch handschuhlos umnieten würden, wenn sie es dürften.

Die Antwort muß der TBS-Medienzar Ted Turner, in dessen Köpfchen die Idee des guten Willens entstand, schleunigst finden. Diesmal läßt er sich das Spektakel noch 26 Millionen Dollar kosten. Oft wird selbst er sich das nicht mehr leisten können. Wenn sich das Interesse der Zuschauer nicht flux und weltweit breitmacht, wird's eng für Turners Ted.

Wenn sich aber das Konzept durchsetzt, die besten acht Sportler in puren Finalwettbewerben zu präsentieren, könnte es das größte Ding der Sportgeschichte werden. Dann bekämen sogar die Olympischen Spiele mit ihren langwierigen und langweiligen Vor-, Zwischen- und Halbfinalläufen Atemnot. Und die Goodwill-Idee wird zum harmonisierenden Grundgedanken aller sportlichen Veranstaltungen. Der gute Wille jedenfalls ist vorhanden.

Hagen Boßdorf

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