piwik no script img

Cospuden - ein Tagebau in der Großstadt

■ Bergleute - einst gefeiert als Helden der Volkswirtschaft - heute wird ihnen die Schuld am ökonomischen und ökologischen Desaster zugeschoben

Aus Leipzig Jette Seese

Nur ganz wenige Eigentümlichkeiten der DDR gibt es, die diesen Staat und den Verlust der Erinnerung an eine frühere Existenzweise wahrscheinlich überdauern werden. Eines dieser Phänomene befindet sich zu 80 Prozent auf dem Stadtgebiet von Leipzig: das Baufeld III des Tagebaus Cospuden. Im Tagebau Cospuden gibt es außer zerstörten Wald-, Wiesen- und Erholungsflächen „nur“ noch den Verlust weniger Gehöfte zu beklagen. Cospuden liegt zwischen Markkleeberg-West und Großzschocher, ein Fortsatz des größeren Tagebaus Zwenkau. Das Gelände ragt wie eine Zunge nach Norden, dabei die Elsteraue verbrauchend. Der Kontrast, den man, am Rande der Grube Cospuden stehend, empfindet, ist der zwischen einer gegen die Zerstörung sich wehrenden Natur - erstaunlich viele Neutriebe auf dem abgeholzten Tagebauvorfeld - und der vollendeten Zerstörung beim Blick in die Grube. Am Horizont: der Auewald.

Nicht nur vielen Brunnen wurde durch den Tagebau das Wasser abgegraben. Auch eben dieser Auewald, ein Biotop, der seine alljährliche Überschwemmung eben einfach braucht, um als solcher leben zu können, sitzt schon zu einem Dreizehntel auf dem Trockenen. Nach und nach wandelt er sich in einen Ahornwald, wie es viele solcher gibt. Die Leipziger Auelandschaft ist jedoch in Europa einzigartig. Zwar wurden schon in den 20er Jahren durch „Wasserregulierungen“ Überschwemmungen unterbunden. Doch dank einer tiefen Lößlehmschicht hat der Wald auch den nachfolgenden Angriffen einigermaßen widerstanden.

Denn ob Aue oder Ahorn - was soll dieser enge Blickwinkel! Wo doch ganz Leipzig auf Kohlen liegt (ökologischster Vorschlag: Wir ziehen alle aufs Land, und Leipzig wird ein Tagebau!). Auf solcher Braunkohle, die die beste hier im Land und für die Veredlungsanlagen in Espenhain unentbehrlich sein soll. Das jedenfalls meinten wohl die Leute, die in den 70ern durch den Ministerrat die Entscheidung zum Aufschluß des Tagebaus fällen ließen. 1980 ordnete man - erneut gegen den Protest der Leipziger Behörden - eine noch größere Erschließung an.

Und das muß auch der Betriebsdirektor des Braunkohlekraftwerkes Borna, Hilmar Zabinski, gemeint haben, als er Anfang April in einem Interview darauf hinwies, „daß Cospuden ein kräftiger Leistungsträger des BKW Borna ist, in den das Werk bereits 360 Millionen Mark Investitionen hineingesteckt hat“. Und überhaupt: Der Auewald bei Cospuden „...ist doch nun dahin.“ - “...man kann auch auf rekultiviertem Boden einen guten Wald anpflanzen. Woanders wird das mit Erfolg gemacht.“

Der angeschlagene Bergmannsstolz

Ob das auch die Bergleute meinten, als sie Ende März in Borna und letztens in Leipzig für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrierten? „Ohne Kohle(n) nichts zu holen!“ stand auf einem der Transparente. „Man hat uns jahrelang als Helden der Volkswirtschaft gepriesen und will uns jetzt die Schuld am ökonomischen und ökologischen Desaster in die Schuhe schieben.“ Dieser Satz von Dirk Tandeck, Gewerkschafter im BKW Borna, drückt vielleicht am ehesten jene Sorgen aus, die „neben“ Existenzangst für 12.000 Beschäftigte des Tagebaus, der Brikettfabriken und Kraftwerke bei Borna durch Stilllegungen ins Haus stehen. Davon abgesehen ist Bergmannsstolz eben mehr wert als der Stolz von Rekultivierungsarbeitern. Auf jeden Fall für die Rente. Was man heute erst recht keinem mehr verübeln kann.

Soweit zu den Problemen der Anweiser und denen der Angewiesenen. Was aber meinen die Leute, die in Markkleeberg wohnen?

Früher leise, seit Oktober laut, geben sie ihrer Empörung über den - nur drei Kilometer vom Leipziger Zentrum entfernten - Mondkrater und dessen Umweltbelastung Ausdruck. Durch die Gründung der Bürgerinitiative „Stopp Cospuden '90!“, durch Druck am Grünen Tisch Leipzig, durch einen Sternmarsch, durch Verhandlungen mit dem Tagebau, inzwischen auch durch grüne Abgeordnete im Leipziger Parlament.

Das Anliegen der Initiative wird immerhin von 13.000 Unterschriften unterstützt. Beim Sternmarsch trafen sich 10.000 Leute. Runder Tisch und früherer Rat des Bezirkes hatten Anfang April den Stopp für den Tagebau verfügt. Das alles nützte jedoch nicht so viel, wie es sollte. In einem Interview bekennt Betriebsdirektor Zabinski am 12. April, daß ein Fernschreiben vom Rat des Bezirkes für ihn keine Rechtsgrundlage sei. Auf die Frage, ob er ein anderes Beispiel kenne, wo Kohletagebau in der Großstadt betrieben wird, meinte er locker: „Was heißt hier Großstadt... An der ökologischen Situation Leipzigs sind wir doch nicht schuld.“

Dennoch wurde immer wieder auf Kompromisse hingearbeitet. Der neueste heißt: 500 Meter kommen noch weg, 700 bleiben stehen, Am 13.Juli wurde beschlossen, in der Auslaufkonzeption nur noch Böschungsgestaltungsarbeiten sowie die Förderung bereits freigelegter Kohle zu erlauben. Allerdings wird auch das bis 1992/93 dauern.

Was zunächst wie die Lösung des Problems klingt, hat jedoch noch einen kleinen Haken: Das Gelände bleibt weiterhin Eigentum des BKW Borna.

Das scheint weiter nicht schlimm, Hauptsache, es wird rekultiviert. Die Bürgerinitiative jedoch fordert nach wie vor, daß dieses Stück Land in das Eigentum der Kommune übergeht. „Denn eigentlich“, so Beate Uebel, „ist der Auewald Landschaftsschutzgebiet, in das inzwischen schon 400 Hektar Land eingeschlagen worden sind.“ Außerdem macht sich die Bürgerinitiative noch andere Sorgen, die eng mit der Eigentumsfrage verbunden sind: „Die Flächen, die dem Tagebau nun nicht zum Opfer fallen, sollen verpachtet werden. Beispielsweise an einen Supermarkt.“ Günstig gelegen wäre die Gegend ja, wegen der Fernverkehrsstraße. Doch: „Was wir brauchen, das sind Erholungsgebiete!“

Aber es ist ja auch wirklich nicht so einfach mit der Kohle. Selbst wenn man seit Mai auch im Ministerium offiziell davon überzeugt ist, daß die Kohle als Energieträger für Leipzig nicht notwendig ist, sondern nur noch für Betriebszwecke. Selbst wenn einige der Dreckschleudern bei Leipzig - Schwelanlagen der Karbochemie

-schon geschlossen wurden und somit die Betriebszwecke fürs BKW Borna sinken: das Werk wählte verschiedene Wege, um seine Kohle irgendwie zu verteidigen. Es laufen nicht nur Prozesse zwischen BKW Borna und örtlichen Behörden. Vielmehr schien der Halbjahresgewinn aus Cospuden - 20 Millionen Mark - dem BKW vor einiger Zeit noch hoch genug gewesen zu sein, um der Kommune gehörige Summen dafür anzubieten, daß die Bagger weiterlaufen können. Das ist schlichtweg Erpressung. Was sich mit dem Beschluß vom 13. Juli hoffentlich erledigt haben wird.

Die Bürgerinitiative „Stopp Cospuden '90“ hat es geschafft, vorerst ein Stück Auewald zu retten, und für Erholungsgebiete bei Leipzig gesorgt. Vorerst, da ein Braunkohletagebau leider keine Startbahn und auch keine Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen