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„Dieser Preis ist zu hoch“

■ Rita Süssmuths §218-Vorschlag macht den Embryo zum Rechtssubjekt

DEBATTE

Rita Süssmuth präsentiert mit ihrem Reformkonzept zum Paragraphen 218 STGB mitnichten ihre „feministische Schlagseite“, wie ihr das die CSU unterstellte. Im Gegenteil sehe ich sie als konservative Vordenkerin der Moderne, die die zeitgerechten, ja zukunftsweisenden staatlichen Kontrollinstrumente über die Gebärfähigkeit von Frauen erkannt hat. Selbstverständlich ist es zu begrüßen, wenn sie sich streitbar gegen die Ewiggestrigen ihrer eigenen Partei und deren unsäglicher Bruderpartei stellt und auf eine strafrechtliche Regelung verzichten will. Doch KritikerInnen müssen dann nach dem Preis für diesen Verzicht fragen.

Seit der Einführung des Paragraphen 218 vor über hundert Jahren haben KritikerInnen eingewandt, daß das Strafrecht nichts taugt, um den Konflikt ungewollter Schwangerschaften zu regeln. Am Ende des 20.Jahrhunderts, wo das Entscheiden über Kinderlosigkeit oder Leben mit Kindern immer komplexer geworden sind, ist es Zeit, daß es sich vollständig zurückzieht.

Diese Sicht klingt selbst im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 an. Danach ist das Mittel des Strafrechts nur im „äußersten Falle“ vom Gesetzgeber zu wählen, nur dann, wenn keine anderen Lösungen geeignet sind, um den Schutz der betroffenen Rechtsgüter sicherzustellen.

Spätestens in Memmingen ist noch einmal vorgeführt worden, wie illegitim und absurd die Schnüffeleien von Staatsanwälten und Richtern in der Intimsphäre von Frauen sind. Seitdem gibt es einen breiten Konsens liberaler KritikerInnen, die die Entkriminalisierung von Abtreibungen vehement einfordern.

Am Ende des 20. Jahrhunderts ist es die Medizin, die die subtilere, erfolgversprechendere Kontrolle über weibliches Gebärverhalten anbietet und durchsetzt. Nicht nur zufällig tritt daher Rita Süssmuth zusammen mit einer Ärztin an die Öffentlichkeit.

Der modernen Gynäkologie und Fortpflanzungstechnologie ist es inzwischen gelungen, die Einheit zwischen Schwangerer und Fötus aufzulösen und Entscheidungsprozesse über das Austragen von Kindern mehr und mehr am Votum der ExpertInnen zu orientieren. Vorgeburtliche Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Amniozentese, Fetoskopie und Genomanalyse haben dazu geführt, daß der Embryo über Bildmedien erfaßbar, aus der symbiotischen Einheit mit der Schwangeren abtrennbar und zum Patienten der vorgeburtlichen Medizin geworden ist. Die Frau wird auf eine reine „Umgebung“ des Embryos reduziert und für dessen „Qualitätskontrolle“ verantwortlich gemacht. Sie wird zu einem Gegenüber, das den Embryo potentiell gefährdet, wenn sie raucht, trinkt oder sich gar einem ärztlich empfohlenen - chirurgischen Eingriff an ihrer Leibesfrucht widersetzt.

Immer wieder ist dagegen von feministischer Seite betont worden, daß der Embryo nicht als von der Frau unabhängiges Wesen, sondern als weitestgehend körperliche und vor allem soziale Einheit mit ihr gedacht werden muß. Wegen dieser einzigartigen Beziehung kann nur die Schwangere selbst über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, das heißt eine ausschließlich vor ihrem Gewissen zu verantwortende Entscheidung treffen, auf die nicht mit staatlichem Zwang eingewirkt werden darf. Dieser Gewissensentscheidung der Frau muß der Grundrechtsschutz des Artikels 4 Grundgesetz zukommen. Im Klartext bedeutet dies einen vollständigen Verzicht auf alle staatlichen Zwangsbefugnisse, und sei es nur den von Süssmuth und Retzlaff vorgeschlagenen Beratungszwang. (Darüber hinaus eröffnet ein Protokollierungszwang über die Beratung ohne konsequenten Datenschutz und Sicherheit vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen weitergehende Kontrollmöglichkeiten als bisher vorgesehen.)

Da die einzigartige Einheit von Schwangerer und Fötus mit fortschreitendem medizinischen Fortschritt immer mehr bedroht ist, muß ein Reformkonzept zum Schwangerschaftsabbruch darauf bestehen, daß die weibliche Reproduktionsautonomie an irgendeiner Stelle der zukünftigen Verfassung ausdrücklich verankert wird.

Der Süssmuth-Vorschlag will statt dessen die Trennung von Frau und Fötus festschreiben. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den Fötus als schützenswertes Rechtsgut herausgestellt, ihn aber noch nicht zu einem Rechtssubjekt, das heißt einem eigenen Träger von Rechten zum Beispiel auch gegenüber der eigenen Mutter gemacht. Dieser Weg würde mit einer verfassungsrechtlichen Verankerung des „Schutzes des ungeborenen Lebens“ unbeirrbar eingeschlagen. Keinen Raum gäbe es dann mehr für ein wirkliches Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Wohl aber würden Klagen möglich von Vätern, Ärzten, Jugendämtern im Namen der Leibesfrucht gegen die mit ihr schwangergehende Frau - zum Beispiel auf Lebenserhalt des Embryos bei einem Unfall der Mutter um den Preis ihres Lebens oder um Eingriffe am Embryo gegen ihren Willen.

Dieser Preis, Frau Süssmuth, für den Verzicht auf das Strafrecht ist zu hoch! Die Tatsache, daß allein und ausschließlich die Schwangere selbst einen effektiven Schutz ihrer Leibesfrucht garantieren kann, würde außer Kraft gesetzt. Patriarchalem Recht und Medizin wären mit der verfassungsrechtlichen Aufwertung des Embryos alle Möglichkeiten eröffnet, die schwangere Frau auf eine den Embryo potentiell gefährdende, ihm feindlich gesonnene, egoistische Gebärerin zu reduzieren.

Es ist nicht mehr die Zeit, sich in „radikaler Abstinenz“ zu üben und die Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 endlos zu wiederholen. Dem streitbaren Süssmuth -Vorschlag müssen feministische Juristinnen und Juristen etwas entgegensetzen.

Mein Vorschlag zielt darauf ab, die zur Zeit rechtlich vertretbare und durchsetzbare, „am wenigsten schädliche Alternative“ zum geltenden Paragraphen 218 StGB zu wählen, wie dies auch in der Strafrechtskommission des deutschen JuristInnenbundes diskutiert worden ist: eine klare Fristenregelung (12 Wochen), eine medizinische Indikation für die restliche Zeit, die von der Schwangeren selbst zu definieren und gegenüber einer Ärztin/einem Arzt zu verantworten ist, eine generelle Straffreiheit für die schwangere Frau, die den Eingriff bei einem Arzt/Ärztin vornehmen läßt, ein breitgefächertes Beratungsangebot unterschiedlicher Träger (Frauengesundheitszentren, ProFa, Kirchen etc...) für eine freiwillige Inanspruchnahme durch ungewollt schwangere Frauen, ein konsequenter Datenschutz für das ärztliche Vertrauensverhältnis vor staatlichen Kontrollzugriffen und schließlich eine grundrechtliche Verankerung des Rechts auf Gebärautonomie...!

Claudia Burgsmüller

Die Autorin ist Rechtsanwältin und Mitherausgeberin der feministischen Rechtszeitschrift 'Streit‘

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