: Ex-Premier Rakowski droht Gerichtsverfahren
Warschau (taz) - Vor einem Jahr war er noch Premier, jetzt steht er vielleicht bald vor Gericht - Mieczyslaw Rakowski, letzter Chef der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Mit 195 zu 29 Stimmen billigte der polnische Sejm letzte Woche einen Untersuchungsbericht, in dem Rakowski zahlreiche Amtsmißbräuche vorgeworfen werden: Er habe die Bereicherung der Nomenklatura erst möglich gemacht. Dahinter steckt die Tatsache, daß unter Rakowski das „Gesetz über Wirtschaftstätigkeit“ erlassen worden war, das von dem Grundsatz ausging: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Dieses Prinzip trieb unter den Bedingungen der damals noch herrschenden Mangelwirtschaft allerdings recht seltsame Blüten - es legalisierte die Spekulation. So begannen Tausende der Partei angehörende Fabrikdirektoren mit der Gründung von kleinen Privatfirmen. Ein billiges Vergnügen, denn man hatte vergessen, den seit 1934 bestehenden, nun wieder geltenden, polnischen Handelskodex der Inflation anzupassen. So konnte man nun eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung bereits für 10.000 Zloty, den Gegenwert von zwei Tafeln Schokoladen, gründen. Dafür mieteten sie dann von den Staatsbetrieben Vermögensteile oder übernahmen einfach Teile der Produktion zu den damals noch staatlich limitierten Preisen. Anschließend verkauften sie die Ware dann zu oft zehnmal höheren Marktpreisen - denn Privatfirmen unterlagen den Preisbeschränkungen nicht.
Auf ähnliche Art und Weise verhielten sich weite Teile der Parteioligarchie, als immer klarer wurde, daß die Zeit der Partei zu Ende ging. Frei nach dem Motto von Rakowskis Wirtschaftsminister Wilczek: „Bereichert Euch“, schritten sie zur Aufteilung des Staatsvermögens. Hervorragende Bedingungen dafür fanden sie in der Danziger Werft vor, die ein Jahr zuvor gerade von Rakowski in Liquidation gesetzt worden war.
Anfang 1990 beschäftigten sich auf Veranlassung der Regierung Mazowiecki dann Oberster Rechnungshof und Staatsanwaltschaften mit dem Phänomen. Ergebnis: 1.593 GmbHs, alle 1989 gegründet, wurden Betrügereien nachgewiesen. Das alles, so fand nun der Sejm, hätte Rakowski verhindern müssen und können. Zumindest aus Ungarn nämlich, wo sich ähnliches schon früher abgespielt hatte, war das Szenarium bekannt. Doch die Regierung Rakowski sah dem fröhlichen Treiben ungerührt zu, um den Ihren einen angenehmen Lebensabend zu sichern.
Klaus Bachmann
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