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Jugoslawiens Premier auf Einheitskurs

■ Vor 100.000 Zuhörern verkündet Regierungschef Ante Markovic die Gründung einer neuen Partei, der „Demokratischen Reformallianz“ / Versuch, den Zerfall des Vielvölkerstaats zu verhindern

Aus Belgrad Roland Hofwiler

Das Szenario, das am Sonntag abend über alle jugoslawischen Fernsehsender flimmerte, wirkte altbekannt: Da versammelten sich angeblich freiwillig über 100.000 Bürger in einem bosnischen Dorf, um einer Rede des populärsten jugoslawischen Politikers zu lauschen, dem neuen Regierungschef Ante Markovic. Ein halbes Jahr nach dem Beginn seines Radikalreformprogramms legte er in alter bolschewistischer Form den Volksmassen seinen Rechenschaftsbericht vor. Dabei verkündete er, seine Regierung habe beschlossen, noch in diesem Jahr freie Wahlen auf Bundesebene durchzuführen. Und außerdem werde seine 17köpfige Regierungsmannschaft zu diesen ersten freien Wahlen als eigene Partei antreten, als „Jugoslawische Demokratische Reformallianz“ (SRS).

Zwar gilt der 64jährige Altkommunist als fähiger Wirtschaftsspezialist, dem es gelang, die Superinflation von zuletzt 2.000 Prozent im letzten Dezember auf nunmehr 3 Prozent zu drücken und das Warenangebot und auch manche Dienstleistungen erheblich zu verbessern. Doch von den Kehrseiten machte die gestrige Tageszeitung 'Politika‘ keinen Hehl: Die Arbeitslosigkeit schreitet der 20 -Prozentmarke zu, die Industrieproduktion fiel um fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Touristen bleiben dem Land fern, große Bevölkerungsteile verarmen zusehends.

Markovic galt noch vor Monaten als souveräne Persönlichkeit. Als im letzten Winter der „Gesamtjugoslawische Bund der Kommunisten“ auf einem Sonderparteitag sein Todesfiasko erlebte, erklärte Markovic trocken: „Ich regiere weiter, mit oder ohne Kommunisten. Die Regierung stellt sich über die Partei.“ Für viele Jugoslawen damals eine mutige und standhafte Willenserklärung. Doch als dann in Slowenien und Kroatien freie Republikswahlen stattfanden und bürgerlich-nationale Parteien das Rennen machten, war es der Regierungschef, der gegen die „schädlichen bürgerlichen Auswüchse“ wetterte. Damit verspielte er sich den ersten Kredit. Als im März der serbische Volkstribun Slobodan Milosevic alle Autonomierechte in der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz Kosovo aufhob, erklärte Markovic diesen Schritt als „verfassungskonform“ - und weiß seitdem die zwei Millionen Albaner Jugoslawiens gegen sich.

Nun befürchten kritische Intellektuelle, Markovic könnte ähnlich wie die „Nationale Rettungsfront“ Rumäniens mit den Altkommunisten gemeinsame Sache machen. Der Regierung sind zur Zeit Tausende von Fabriken, Außenhandelsketten und Tourismusunternehmen unterstellt. Werden sie privatisiert, oder gehen sie gar in den Besitz der „Demokratischen Reformallianz“ über? Dazu verlor Markovic kein Wort.

Böse Stimmen sehen gar noch größere Gefahren. Zu Markovics Regierungsantritt veröffentlichten die Alternativblätter 'Mladina‘ und 'Polet‘ scharfe Attacken gegenüber dem Regierungschef, indem sie aufzeigten, wie heimlich große Geldbeträge in den Bau eines Überschallbombers flossen und Markovic den Verteidigungsetat drastisch vergrößerte. Zudem habe Markovic Teile der Armee direkt seiner Regierung unterstellt. Anfangs begrüßt von breiten Teilen der Bevölkerung, da man den Kommunisten Macht wegzunehmen glaubte, kursiert nun die Angst, beide könnten gemeinsame Sache machen. In regelmäßigen Abständen warnen denn öffentlich hohe Militärs, die Volksarmee sei der letzte Garant für das zerbrechende Jugoslawien.

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