Rohe Eier im Härtetest

■ PEN-Streit als Vorwand

Nun kommt auch die Verbandsunion. Nun wird es vereinsernst. Auch die beiden deutschen PEN-Zentren wollen oder wollten sich vereinigen. Der erste Versuch ist so eklatant gescheitert, daß das Vorhaben erst einmal verschoben wird. Es hat aber einen Streit in der deutsch -deutschen Schriftstellerfamilie ausgelöst, mit großen dunklen Wolken guter Argumente und böser Vermutungen. Wie immer ist der Hintergrund ernst. Auslöser ist, wie bekannt, ein Vereinigungsverfahren, das sich das westdeutsche PEN -Präsidium in einer schwachen Stunde ausdachte. In ihm sollten gewissermaßen moralische Sauberkeit und Familienrücksichten möglichst schadlos verbunden werden. Da kann Öffentlichkeit nur schaden. Wie sollte der PEN mit dem Problem der belasteten PEN-Mitglieder der DDR umgehen? Zensoren und Zensierte in einem Verband waren undenkbar. Also bat man exilierte Autoren, darunter Kirsch und Kunert, zum Privatissimum, wollte sie gewissermaßen als Filteranlage in den Prozeß der PEN-Vereinigung einbauen. Diese Autoren haben den unkeuschen Versuch zurecht öffentlich gemacht und sich coram publico geweigert, nun weißzuwaschen, weil sie damals angeschwärzt wurden.

Der Versuch des bundesdeutschen PEN-Zentrums ist empörend, aber auch grotesk. Der Streit, der folgt, bedrückend. Die Öffentlichkeit bringt nicht frische Luft, sondern wird in ungelüftete Räume hineingezogen. Da herrscht ein Ernst, als ob es sich um Staatsvertragsverhandlungen handelt. Die Debatte schwankt zwischen dem Versuch, verlorene Schlachten der Wiedervereinigung zu schlagen und Verbandspolitik zu betreiben. Von „Spruchkammerverfahren“ wird geredet und von „Kampagnen“ gegen DDR-Schriftsteller. Rohe Eier betreiben Härtetests. Natürlich muß die Frage der DDR-Vergangenheit und der Komplizenschaft mit Zensur und Unterdrückung im Mittelpunkt stehen, aber nicht im Mittelpunkt der Verbandspolitik. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß sich bei der deutschen Vereinigung die Schriftsteller in die Haare kriegen. Aber alles gegen eine Dauergereiztheit ohne Selbstironie, in der die wirklichen Themen so überlagert werden, daß man keine Lust mehr hat, sie herauszuinterpretieren. Die wirklichen Themen: Warum war das Verhältnis der beiden deutschen PEN-Zentren über lange Zeit so gut, obwohl in der DDR das freie Wort immer grotesker unterdrückt wurde? Warum trieben Schriftsteller Entspannungsdiplomatie, statt sich um der Wahrheit willen zu verfeinden? Es sind verspätete Debatten, gereizte Nachholmanöver - und viel Wut über die verspielte Zeit vor der Herbstrevolution spürt man heraus. Die Schriftsteller sollten den persönlichen Streit vorziehen und die Verbandspolitik erst einmal ruhen lassen.

Klaus Hartung