: Bonn: Berlin wird Sydney
■ ...und Bonn wird Canberra / „Australisches Modell“ in Sachen Hauptstadt soll als Scheinkompromiß für Ruhe sorgen / Sonderstatus Berlins beim Wahlrecht bringt huckepack Chance für Bürgerrechtler / Wahlkreisverteilung gegen PDS
Berlin. Glaubt man den Worten von Wilfried Haese, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Bundesangelegenheiten, so haben Innenminister Schäuble und DDR-Staatssekretär Krause die Quadratur des Kreises geschafft. Endlich, so „begrüßte“ die Senatsverwaltung die freudige Nachricht, habe man sich im zweiten Staatsvertrag „über das Ob des Regierungssitzes im Grundsatz zugunsten Berlins entschieden“. Berlin freue sich, „das gesamtdeutsche Parlament bald begrüßen zu können“.
Zu früh gefreut. Der Satz, der alle Probleme aufschiebt, soll nach dem Willen der Architekten des 2.Staatsvertrages lauten: „Die Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Fragen des Regierungssitzes werden nach der Vereinigung gelöst“. Diese Fragen sollten, so Bundesinnenminister Schäuble gestern gegenüber der Presse, nach der Vereinigung von einem gesamtdeutschen Parlament geklärt werden. Im 2. Staatsvertrag formuliere man nur die Möglichkeit, die Trennung von Repräsentationssitz und Regierungssitz zu diskutieren. Das Vertragswerk enthält jedoch keine - wie von Bonn geforderte - Verpflichtung des gesamtdeutschen Parlaments, die Hauptstadtfrage zu klären. Offen bleibt somit weiterhin die Frage, ob Berlin allein Repräsentationsaufgaben übernimmt.
Der Grund für den Scheinkompromiß lag im vehementen Einspruch der Länder NRW, Bayern, Hessen und BaWü, eine „Hauptstadt Kreuzberg“ auch nur in Erwägung zu ziehen. Nach Auffassung des Ministers in der Staatskanzlei von NRW, Clement (SPD), halten die genannten Bundesländer eine Trennung von Hauptstadt und Regierungssitz - „Wir denken da an das australische Modell mit Sydney und Canberra“ - für möglich. Die Vertreter der künftigen DDR-Länder werteten die Zauberformel als Erfolg - immerhin werde der „Name der Hauptstadt“ festgelegt.
Klarer ist hingegen, wann und wie in Gesamt-Berlin und -deutschland gewählt wird. Im goldenen Oktober (noch kein „heißer Herbst“?) am 14. des Monats sollen die BerlinerInnen doppelt zur Urne schreiten. Gestimmt wird nach dem deutsch -deutschen Wahlvertrag, der „Lex DSU“. Sie erlaubt das Huckepackverfahren nur denjenigen Parteien, die in keinem Bundesland gleichzeitig antreten. Kein Problem für eine Verbindung von DSU und CSU also - und ein genialer Hemmschuh für mögliche Erfolge der PDS und des Bürgerrechtsspektrums. Denn wer überall antritt, darf sich nicht verbinden. Eine Ausnahme gibt es nur für Berlin, genannt „Berlin-Klausel“. Sie ist aber unter Verfassungsrechtlern bereits umstritten, weil sie dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Auch West -Berlins Innensenator Pätzold lehnt sie ab. Einen theoretischen, aber unwahrscheinlichen Vorteil könnte die „Berlin-Klausel“ für die Bürgerrechtsbewegungen der DDR haben. Würden sie sich mit den Ost-Grünen unter einem parteiähnlichen Dach versammeln, könnten sie mit den West -Grünen eine Listenverbindung eingehen: die AL würde als Landesverband der Grünen wegen der „Berlin-Klausel“ nicht als konkurrierende Partei angesehen werden. Aber wegen des bekannten Hickhacks zwischen Bürgerrechtsspektrum und Ost -Grünen ist diese Lösung unwahrscheinlich.
Auch die Wahlkreiseinteilung in Ost-Berlin hat das Statistische Landesamt schon vorgeschlagen: Sie geht zu Lasten der PDS. Der Wahlkreis Lichtenberg, wo die PDS bei den Volkskammerwahlen 30 Prozent absahnte, wird geteilt. Der Erfolgsdistrikt Hohenschönhausen wird Weißensee angegliedert.
nana/kotte
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