: Ein Blick nach Kuwait aus Karthago
■ Krieg und Frieden durch Supermachtskontrolle?
Zeiten des Krieges sind Hochzeiten geopolitischer Wahrsagerei. Prompt bringt der Überfall des Irak auf Kuwait wieder die beliebte These vom „Machtvakuum“ nach oben. Demgemäß sei das Streben Saddam Husseins nach Vorherrschaft in der Region die gesetzmäßige Folge des Machtverlusts der Supermächte. Um das Vakuum zu vermeiden, müßten deshalb die USA und die Sowjetunion präsent bleiben. Die doppelt falsche Gleichung lautet: Je mehr Kontrolle durch die Supermächte, desto effektivere Krisenbeherrschung, desto mehr Stabilität. Sicher hat in Europa die supermachtsdominierte Blockkonfrontation dazu beigetragen, regionale Kriege zu verhindern. Hinter und unterhalb dieser Blockdisziplinierung vollzog sich in Europa ein Prozeß, der Kriege auf diesem Kontinent immer weniger wahrscheinlich werden läßt.
Norbert Elias hat für Schweden und Dänemark beispielhaft einen Deeskalationsprozeß von kolonialen Machthöhen beschrieben und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die imperiale Vergangenheit zur Voraussetzung künftiger friedlicher Entwicklung nach innen und außen als unabdingbar erklärt. Man sollte hinzufügen, daß die Hinwendung zu friedlichen Konfliktlösungen in unserer Weltregion nicht freiwillig kam, sondern im Gefolge militärischer Katastrophen, und daß sie nicht gleichbedeutend ist mit dem Verzicht auf neokoloniale Ausbeutung. Konservative Kritiker des Typs „Pazifismus aus Berechnung“ haben deshalb das westliche Europa mit Karthago nach dem 2. Punischen Krieg verglichen und - wie Karl-Heinz Bohrer - den Falkland-Krieg als Bewußtseins-Stimulans für schlappe Geschäftemacher gepriesen.
Fest steht, daß der gesellschaftliche Konsens über die Notwendigkeit friedlicher Konfliktbeilegung vom westlichen Europa auf die desintegrierenden realsozialistischen Herrschaftssysteme ausstrahlt. Die Vorschläge für ein kollektives Sicherheitssystem mit supranationalen Kontroll und Interventionsagenturen gewinnen von dort her ihre realistische Substanz. Die Aufrechterhaltung der Nato als Militärbündnis hingegen würde den alten, militärisch bestimmten und durch eine Führungsmacht garantierten Kontrollmechanismus fortsetzen.
Regionale Konfliktlösungen nach der Art des müden Karthago sind im Nahen Osten nicht zu erwarten. Die Schlußfolgerung aus diesem Befund kann aber nicht lauten, die Region dem internationalen Krisenmanagment zu unterwerfen. Vor der Hoffnung, der Region mittels militärischer Intervention die richtigen Methoden nicht-militärischer Streitschlichtung beizubiegen, kann nur gewarnt werden.
Christian Semler
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