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„Was mich aufregt, ist meine schöne Sorge“

Neues Mitglied im taz-Culture-Club: Charlotte Niemann, Worpswede - von der Artistentochter zur Kinderhörspiel-Regisseurin  ■  hierhin bitte das

Foto mit der

Frau mit Mikro

und Kindern

Charlotte Niemann '79 bei

„Sie müssen mir doch mal sagen, was Sie eigentlich genau wollen“, fragt sie freundlich, als wir im Garten sitzen und der Erdbeerkuchen steht, Aufhebens um ihre Person ist ihr eher lästig. Was will ich? Ich will am liebsten einfach nur so sitzen mit ihr - neben dem flirrend weißen Gemäuer; rechteckig döst ein Teich, Seerosen bewachen Goldfische im tiefen Braun. Dahinter beginnt taktvoll ein Wäldchen. Unter uns wächst ungekämmtes Gras. Bienenkolonnen summen bei der Arbeit. Und auch das noch: Flötentöne von fern. Pan? Wenn jetzt Nymphen zwischen den Bäumen lichterten - wundern tät's mich nicht. Die Zeit steht aber nicht still, sondern sitzt wie wir unter der Blüte eines Sonnenschirms. Wo bin ich? Ich bin hinterm Berg. Jawohl. „Hinterm Berg 117“, links ab vor Worpswede.

Zwei weiße Kugeln im Graben der kleinen Straße sind das Erkennungszeichen ihres Hauses, unsichtbar hinter lichterlohenden Baumkronen. Dornröschen wäre hier verschimmelt, kein Prinz hätte sie gefunden. Aber niemand muß hier wachgeküßt werden, hier wohnt die Lebendigkeit in Aufnahmen zu „Zlateh, die Geiß„

Person und ist erst 75: Charlotte Niemann. Ich überspringe, daß ich doch noch die Klingelkugel an der rapunzelverschlossenen Hauswand gefunden habe und sitze schon im Garten, der nicht auf Beeindruckung angelegt ist, weil er weiß, was ihn auszeichnet. Der Garten paßt zu ihr.

Ich will also ein Porträt von ihr machen. „Da ist natürlich ein bißchen viel Lebenszeit da, nicht“, sagt sie und ihre Augen kräuseln sich beim Lachen. Es muß ja nicht das ganze Leben sein. Vielleicht etwas Gegenwart? „Um so besser“, freut sie sich, so ist sie: temperamentvoll bestimmt, humorvoll kategorisch. Viele, sagt sie, die etwas von ihr wissen wollten, interessierten sich überhaupt nicht für Formales, „also für das, was mich aufregt, meine schöne Sorge“. Was ist das? Das ist von Godard, und wenn sie überlegt, was ihre Hauptschönesorge ist, dann ist das ihre Konzentration auf Hörspiele für Kinder. Seit 1950 arbeitet sie für Radio Bremen und gilt als berühmteste deutsche Kinderhörspiel-Regisseurin. Was sie am Hörspiel fasziniert: wie Aktion „hinübergereicht“ wird, dem „Botenbericht Foto: Radio Bremen

und Mauerschau“ des Theaters verwandt, der Überleitung, kurzum: dem Erzählen. Im Funk, sagt sie, „muß ja alles durch ein Nadelöhr gehen - das Ohr muß getroffen werden und sonst gar nichts!“, deshalb ist der Erzähler ihre „schöne Sorge“. Außerdem liebt sie die Reduktion. Nein, sie schreibt nicht selbst, sie würde ihren Ansprüchen nicht genügen. Sie sucht sich exemplarische Bücher, für Kinder Begreifbares, Erlebbares, für Erwachsene ebenso. Also schreibt sie Bücher um, mit Dialogen, mit Erzähler, der Mittler sein muß und Freund der Agierenden: eingreifend, warnend. „Meistens ist es ja doch für mich ein Mann.“ Warum? Suggestiver vielleicht - sie möchte ja verführen, uns hineinsaugen, aufhorchen machen. Dialoge schreibt sie laut, damit es „aus der Schnauze kommt“.

So vielen hat sie schon ein Hördenkmal gesetzt, etwa Pu, dem wunderbaren bräsigen Bären, der Katze mit Hut, den Nachtvögeln von Tormud Haugen (ein absolutes Gänsehautstück), Kenneth Grahames Der Wind in den Weiden, für das sie 1978 den Schallplattenpreis bekam. Viele ihrer

Hörspiele, für die sie auch die Musik schreibt, werden von der Deutschen Grammophon mitproduziert. Arbeitet sie gern mit Kindern? Oja! Lachen, Weinen, Geschrei probt sie wenig mit ihnen, damit sie nicht technisch werden, „Kinder können das nicht herstellen, das geht nur über Identifikation“. Also spielt sie mit ihnen das Stück vorher durch.

Als sie selbst Kind war, wußte sie sehr bald, daß sie mit Wörtern und Tönen umgehen wollte. Warum? „Das weiß man nicht, man wird ja getroffen davon!“, resümiert sie resolut. Auch die unumgängliche initiale Schulaufführung ist in ihrem Leben enthalten. Ernsthaft wird es zunächst mit dem Musikstudium. 1936 auch noch Schauspielprüfung, einfach zum Ausprobieren, Fazit: komische Begabung und „Sie ar

beiten ja sehr mit dem Koppe“. Es war die „anti -intellektuelle Zeit“, sie war ja nicht das deutsche Mädchen mit den blonden Zöpfen, naja, blond war sie auch, aber nicht naiv oder Gretchen. „Neige, du Schmerzensrei che...“, singt sie mir vor und wir lachen herzlich. Sie hat Klavierunterricht gegeben, ist aufgetreten mit Ziehharmonika. War in derselben Klasse mit Heidi Kabel in Hamburg, ein glückliches Naturell, sagt sie, so eins mit sich und im Hintergrund eine große Familie. Sie nicht? „Also ich war ja Artistenkind!“ Ach! „Meine Mutter hat Drahtseil gelaufen, das war natürlich Außenseiter, Außenseiter!“ Sie wuchs bei den Großeltern auf, auch Artisten mit „Mimischen Akten“, die Mutter reiste als Verwandlungstänzerin, der Vater, Fotograf, war in Thea

tervereinen. Eine melodrama tische Familie. Liebt sie deswegen die Reduktion aufs Hören? Vielleicht. Mit 39 hat sie geheiratet, ihr Mann war Bildhauer und Maler, und '41 zogen sie nach Worpswede. Sie belegt nach dem Krieg Fernkurse über Komposition und Opernregie. Ist begabt, lernt aus allem, „das ging durch die Poren, wie Osmose!“ Macht Singspiele mit den Dorfkindern, Hindemith zum Beispiel, bis Gert Westphal, Radio Bremens Hörspielchef und später „König der Vorleser“, sie an den Sender holt. War sie ehrgeizig? „Es war wie ein Trieb“, wir kichern. Man kommt eben auf die Welt und weiß, da ist irgendetwas, was man kann. Heute ist es so, daß sie sich auf sich verlassen kann. „Obwohl es immer ein Abenteuer bleibt.“ Claudia Kohlhas

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