„Um meinen Schlaf gebracht“

■ Betr.: „Kein Kulturgut, das schützenswert ist“, Interview mit Hucky Heck in der taz vom 6.8.90

L E S E B R I E F (E)

Herr Ortsatsleiter Hucky Heck,

Sie machen Ihr Bewußtsein von der Geschichte menschlicher Entartung von der Gnade oder Ungnade Ihrer frühen oder späten Geburt abhängig. Bei mir sieht es etwas anders aus. Ich habe noch Hitlers und Goebbels Reden im Ohr von der Humanitätsduselei, in die wir damals nicht verfallen sollten angesichts der großen Aufgaben, die unserem deutschen Volke gestellt wären, nämlich mit eisernem Besen auszukehren die rassisch Minderwertigen und kriminellen Elemente.

Ihnen fällt auf, daß diese kulturlosen Menschen, wie Sie sagen, ein „undifferenziertes Verhältnis zum Besitz anderer Leute“ haben - ganz besonders die Sinti- nd Roma-„Gören“ (Kinder machen 2/3 dieser Menschen aus) und daß sie darum alle auf die Verladerampe nach Jugoslawien sollen/müssen, von wo aus sie dann möglicherweise - was geht es uns an! nach Rumänien oder sonstwohin umverladen werden. So viel Ignoranz habe ich Ihnen nicht zugetraut. Glauben Sie mir, Herr Heck, ich bin um meinen Schlaf gebracht!

Da Ihre Aussagen gleichzeitig so haßerfüllt sind, sollten Sie sich überlegen, wer oder was Sie sittlich so korrumpiert hat. Ich hoffe, Sie sind noch zu retten. Ich war sehr oft bei den Roma/Sinti in der Contrescarpe. Das auffallende Kulturgut, das schützenswert und von uns Deutschen nachahmenswert ist, das ist die Liebe, die Fürsorge, die Freundlichkeit zu den Kindern und dadurch die offene und vertrauensvolle Zuwendung der Kinder zu den Großen - auch zu mir. Nie wurde ein Kind geschlagen oder angebrüllt. Ich liebe sie und werde ihnen helfen, wie ich es kann.

Ich bin Schauspielerin, und unser Beruf ist noch nicht sehr lange gesellschaftsfähig. „Kinder, hängt die Wäsche weg die Komödianten kommen!“ war kein Witz.

Ernestine Zielke, Bremen