: „Eigenartige Spießigkeit“
■ Betr.: „Kein Kulturgut, das schützenswert ist“
In Asylfragen ist bei sonst durchaus toleranten Leuten eine eigenartige Spießigkeit zu beobachten. Wenn die Roma hier schon leiben wollen, dann aber bitte schön nur bei „sozial verträglichem Verhalten“. Ob der kleine Ladendiebstahl, der bei Deutschen als unkonventionelle Eigentumsübertragung oder Mutprobe gewertet wird oder der Drogendeal, bei dem sonst genauer nach den Ursachen gefragt wird - bei Leuten, die Asyl oder Duldung beanspuchen darf abgeschoben werden ohne genaue Prüfung der Folgen für die Betroffenen.
Ausländerfeindlichkeit beginnt, daß sollte Hucky eigentlich wissen, bereits bei der Ungleichbehandlung bei Straftaten und bei kollektiver Zuschreibung kriminellen Verhaltens. Wenn Deutsche klauen oder dealen werden sie bestraft und nicht abgeschoben. Warum wird bei Asylsuchenden die Frage der Strafbarkeit mit der Frage des Asylrechts vermischt?
Kollektive Verantwortung statt individueller Schuld. Dabei beweist ja das erfolgreiche Sinti-Projekt in Bremen-Nord, wie soziale Integration und Ansiedlung klappen kann. Wenn man Roma in Sammelunterkünfte mit Gemeinschaftsverpflegung und gekürzter Sozialhilfe unterbringt, braucht man sich nicht zu wundern, daß auch geklaut wird - ohne daß dieses eine notwendige Folge ist.
Die Roma werden in Jugoslawien als Volk in Lagern außerhalb der Stadt ohne ausreichende Existenzgrundlage untergebracht. Konflikte mit den jugoslawischen Bewohnern führen seit Jahrhunderten immer wieder zu Vertreibung. Dieser Kreis sich fortsetzender Ausgrenzung und Konflikte muß durchbrochen weren. Ich meine, wir haben die materiellen Ressourcen und sozialen Voraussetzungen, 150 Roma in Bremen integrieren zu können. Huckys Vergleich mit Jesus und seine Abwehr einer historischen Verantwortung der Deutschen hat typische Züge der Söhne-Generation, die sich mit ihren Nazi-Eltern über deren Vergangenheit gestritten haben und sich nun nicht selbst in einen solchen Kontext stellen lassen wollen. Wir haben zwar keine individuelle Schuld an den Morden an den Roma und Sinti, aber wir haben die Verpflichtung, sorgfältiger als andere zu prüfen, ob nicht unser Umgang mit ihnen den Keim von Diskriminierung in sich trägt, der in letzter Konsequenz zur Vernichtung geführt hat. In diesem Sinne halte ich es für politisch richtig und notwendig, den Roma und Sinti in Deutschland ein Bleiberecht zu gewähren, auch wenn nicht die Voraussetzungen politischer Verfolgung in dem strengen Sinne des Asylrechts bestehen.
Horst Frehe, grüner Bürgerschaftsabgeordneter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen