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Vierzig Jahre ARD

■ ARD-Wunschprogramm, Sonntag, von 13.00 bis 0.30 Uhr

Ein herrlich verrückter Geburtstag ist das heute“, schnatterte der Moderator irgendwann am Abend, und wir rissen uns beifällig nickend die nächste Bierdose auf. Die wievielte? Wir hatten längst den Überblick verloren, denn schließlich waren wir seit den Mittagsstunden dabei.

Vierzig Jahre ARD, das war ein Ausflug in wehmütige Erinnerungen. Seit wir zurückdenken können, haben wir uns fast tagtäglich in das flackernde Bildermeer der ARD versenkt, haben uns stundenlangen elektronischen Trips unterworfen, die nach Dallas führten, in die Lindenstraße, zur Ziehung der Lottozahlen mit Karin Tietze (einmal warf unser Nachbar sein Fernsehgerät nach der Ziehung aus dem Fenster), in die tückischen Realitätstunnel des Wortes zum Sonntag und zu den leibreizenden Programmansagerinnen, die uns über all die Jahre immer wieder mit süßem Augenaufschlag köderten. Ja, Erinnerungen, seufzende Wehmut.

Aber die Ansagerinnen fehlten heute, und der Nachrichtensprecher Wiebke hatte sich zur Feier des Tages nur ein lila Tüchlein in die Jackettasche gesteckt. Trotzdem war es ein Fernsehtag, an den wir oft zurückdenken werden. Die Berliner Sonne knallte in unser Wohnzimmer, während wir mit Professor Grzimek durch die wilde Serengeti zogen und nach einem Platz für Tiere suchten. Der Fußboden war übersät mit überquellenden Aschenbechern, Pizzafladen und zerknüllten Chipstüten, und bis auf die Unterhosen entkleidet lagen wir in unseren Sesseln und schlingerten ins Kinderprogramm hinein.

Der Einfall der ARD zum Jubiläum die ZuschauerInnen (also wir, wir alle hier draußen) das Programm gestalten zu lassen war schon genial. Wertvolle Reisen winkten den Gewinnern. Allerdings hatten wir, wie in der Politikmaschinerie, die Auswahl aus vier vorgegebenen Angeboten. In der Sparte Comedy fiel die demokratische Wahl erstaunlicherweise auf Loriot, der uns also noch einmal mit Lottogewinner Erwin Lindemann, 66 Jahre, Rentner, erfreute, der in fünfhunderttausend Jahren eine Boutique mit dem Papst in Island eröffnen möchte, und gleich darauf die Sportschau mit der Live-Übertragung der Auslosung der zweiten Runde des DFB-Pokals. Nach der 244.Folge der Lindenstraße nahmen wir das Abendbrot (Bratkartoffeln mit Senf und Ketchup) zur Wunschreportage über Berlin ein. Und dann, dann klingelte das Telefon, und Herberts Mutti aus Lüdenscheid war Feuer und Flamme, denn nun wurde Peter Frankenfeld mit seiner Show Viel Vergnügen aus dem Jahre 1958 hochgebeamt (und auch Friedhelms Omi kontrollierte telefonisch, ob wir zugeschaltet waren). Nun hatte man damals sicher andere Probleme als heute, aber wir genossen dennoch den nur rudimentär entwickelten Humor unserer Elterngeneration.

Wieder ins Studio zurück, zum roten Teppich, blauem Sofa und gelbem Briefkasten, aus dem die GewinnerInnen gezogen wurden. Dann hatten wir alle uns Nasty Kinski gewünscht, im legendären „Reifezeugnis„-Tatort, und gleich danach, unsere Augen waren schon viereckig, wir hockten sozusagen schon im Fernsehland mittendrin, rotzte uns plötzlich Väterchen Kinski aus einer Talkshow der wilden Siebziger entgegen. Völlig abgedreht daherredend und dabei mit seiner riesigen Zunge schnalzend, schleckte er mit seiner rosigen Zunge in unser Wohnzimmer hinein, so daß unser Beisammensein völlig außer Kontrolle geriet und jeder ernsthaften Beschreibung spotten würde. Aber ein schöner Tag war's trotzdem.

Olga O'Groschen

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