piwik no script img

„Diesen Riegel Bahnhof neu durchdringen“

■ taz-Gespräch mit Ulf Sommer, einer der Planungs-Architekten der Hauptbahnhofumgestaltung, über Stadt, Fluß und Bahnhof

Eine große städteplanerische Umgestaltung steht Bremen ins Haus: Der hintere Teil des Hauptbahnhofs soll in den nächsten Jahren kolossal angebunden werden - zum einen ans entstehende Kongreßzentrum, zum andern an die Stadt. Finanziert teilweise von der Stadt und von einem privaten Investor, Herrn Hornung. Menschenströme werden erwartet in Zukunft, die nicht nur durch beunruhigende Bahnhofstunnelröhren mehr gescheucht als geschleust werden sollen, wenn sie vom Kongreßzentrum kommen, sondern dort nun durchaus verweilend passieren könnten.

Ulf Sommer, Bremer Architket unter anderem des Fallturms, der weißen Wohnanlage über der Theatergarage zwischen Osterdeich und Bleicherstraße etc., ist mit seinen Partnern an der Planung der Verschönerung des Bahnhofsgeländes beteiligt. Geplant sind ein Hotel, eine Hochgarage, Büros, Geschäftspassagen, eine Art zweite Bahnhofshalle. Das alte Lloydhotel wurde bereits dafür abgerissen (und nicht das Verwaltungsgebäude, wie manche verwechseln).

Gerade sind Ulf Sommer und Partner umgezogen in die bremische Ex-DKP-Zentrale an der Contrescarpe. Eine herrliche alte Stadtvilla, Holzkassettenwände, ein Treppenhaus mit Geländegeländer; aber hier rutscht darauf natürlich niemand runter, hier wird edel und funktional geplant und gereißbrettet. Von kühlem Lamellenlicht abgeschirmt stehen und hängen Bahnhofsentwürfe im Hochparterre der erlesen contrescarpischen Adresse. Die taz sprach vor.

taz: Wie ist Ihr Verhältnis zu alt und neu?

Ulf Sommer: Ich habe im Augenblick so den Verdacht, daß alles, was alt ist, absolut schön ist, und alles, was neu ist, ist absolut schlecht. Wenn aber eine Stadt auf alle Zeiten festgeschrieben wird an einer Stelle - dann ist das was ganz Neues, das hat's noch nie gegeben. Noch nie, solange die Menschen krabbeln auf der Erde und bauen und machen.

So eine Einstellung fällt ja nicht vom Himmel.

Richtig, 30-40 Jahre lang gab es durch unsere Nachkriegsgeschichte hindurch eine umfangreiche, ich sag das mal in Anführungsstrichen, „zerstörerische Tätigkeit“ in der Entwicklung der Städte. Auch in Bremen gibt es ein paar sehr problematische Bereiche: der Martinidurchbruch zum Beispiel, einer der Sündenfälle der Nachkriegszeit. Da ist ein Zug gemacht worden, den es historisch nicht gibt. Er zertrennt zum Beispiel die diagonal durchfließende Langenstraße total, die hat überhaupt keinen Bezug mehr

zur anderen Seite. Und das Schlimmste, was dabei passiert ist: Sämtliche Querwege zur Weser sind weg, was die Stadt doch eigentlich ausgemacht hat und wo sie entstanden ist. Ganz mühsam sind so'n paar kleine Trampelpfadchen gemacht worden: natürlich der wichtigste durch die Böttcherstraße. Die Menschen, die nach Bremen kommen, gehen durch die Böttcherstraße und stehen dann plötzlich an diesem wunderschönen Portal und kucken auf den Verkehr und das war's dann. Und dann gibt's da zufällig noch so'n Treppchen zu 'nem Tunnel, das man vielleicht findet, wenn man die Schiffahrt machen will. Das hat natürlich damals keiner als Sünde betrachtet! Das war die Euphorie der 50er Jahre, als alle anfingen, Autos zu fahren und zu kaufen, und der Verkehr bewältigt werden mußte. Stadtplanung hat 30, 40 Jahre lang Straßenplanung bedeutet.

Na also, da haben Sie ja den Grund für die Einstellung der Leute, das Alte auf jeden Fall lieber zu behalten. Sie haben einfach zuviel schlechte Erfahrungen mit ihren Herren Stadtplanern. Mahnendes Beispiel immer noch der Rembertikreisel...

Richtig, wir haben das schon vor zehn Jahren diskutiert, da hab‘ ich mal gesagt: Iirgendwann kommt der Punkt, wo man Straßen abreißen wird, um Häuser zu bauen. Ich schätze und fürchte, daß es Autos mindestens noch 30 Jahre geben wird, und zwar in steigender Zahl.

Kommen wir mal zu den Plätzen, die Inseln einer Stadt. Die sehen in Bremen ja nun ziemlich alt aus im umgangssprachlichen Sinn. Empfinden Sie beim Anblick der Bürgerschaft am Rathausplatz zum Beispiel nicht heftige Augenschmerzen?

Das finde ich nicht so sündenhaft. Die Börse war ja kaputt, und es stand an, ein neues Bürgerschaftsgebäude zu machen. Mit der Historie, wissen Sie, da ist das so 'ne Sache, die betrachtet man immer zwei drei Jahrhunderte später. Die Ruine wieder herzurichten, hätte ich völlig absurd gefunden. Ich finde, eine Demokratie, die sich in den 50er Jahren recht und schlecht zu bilden versuchte, die konnte sich nicht in 'ner alten Gruft von Börse einquartieren. Es war eben eine Zeit des Neumachens.

Was ist Ihrer Meinung nach jetzt für eine Zeit?

Ich glaube, daß es seit zehn Jahren eine Zeit des Umdenkens gibt: Wie kann man die Stadt, die Innenstadt, wieder erlebbar machen, wie wird die attraktiv genug, Menschen einen Lebensraum zu geben, daß sie nicht die Sehnsucht haben, wegzuziehen. Die meisten wollen ja raus.

Das hat auch den relativ einfachen Grund, daß die Mieten in der Stadt ziemlich teuer sind und immer teurer werden.

Das ist eine gesellschaftliche Frage, ich bin da sehr streitbar - die Architekten sind Ausführende in einer Gesellschaft, die Gesellschaft bestimmt das Stadtbild!

Eine der Prioritäten nach der Verkehrsplanung war zum Beispiel in den letzten Jahrzehnten immer Grundstücksausnutzung, das haben nicht Architekten gemacht, das haben immer Kaufhauskonzerne, Versicherungen etc. gemacht. Ich sage ihnen ein Beispiel, ich war vor zwei Jahren mit meinem Berufsverband in Hannover, und wir hatten das Vergnügen, den Stadtplaner für einen Stadtrundgang zu gewinnen. Und er erzählte uns eine Geschichte: Horten wurde jetzt vor kurzem umgebaut. Und es war so, daß die Stadt, das Planungsamt, mitbestimmt hat, wie Horten seine Fassade in das Stadtbild zu integrieren hat. Vor rund 20 Jahren mußten die Stadtplaner in das Flugzeug des Herrn Horten kommen und hatten eine Stunde Zeit, mit ihm über die Umgestaltung seines Kaufhauses zu konferieren - das ist das Umdenken.

Dann: Wenn ich mir zum Beispiel die Bremer Häuser ankucke die Qualität ist ziemlich schlecht, weil zu der Zeit, als die gebaut wurden, gab's nicht viel. Die Leute damals haben das beste draus gemacht und mit Stuck das Großbürgertum nachempfunden. Aber wir leben ja nicht nur von schönen Fassaden, sondern auch von den Bäumen, den Vorgärten usw., den Straßenräumen. Wir sind soweit gekommen, daß wir nichts mehr wegschmeißen können; aber wenn eine Hose kaputt ist, muß ich sie irgendwann wegschmeißen.

Ein Haus ist keine Hose.

Ich empfinde nur die Umkehrung zu früher als etwas zu Extremes.

Kommen wir zum Hauptbahnhof.

In diesem Zusammenhang ist immer auch ein Stück Satdtreparatur überlegt worden. Denn so eine Geschichte wie mit dem Martinidurchbruch ist auch mit der Eisenbahn passiert. Durchgangsbahnhöfe riegeln die Stadt dahinter immer ab. Und nun ging die Stadt ran, die Stadthalle auszubauen zum Veranstaltungszentrum, zum Kongreßzentrum. Da war zuerst die Frage: Wie kriegt man jetzt die Anbindung einer so hochattraktiven Geschichte, die's werden soll, durch diesen Riegel, diesen Bahnhof. Die Öffnungen, die es gibt, sind unerträglich für Fußgänger. Die Achse, die für die Touristen interessant ist, und die genau quer zu der Verkehrsachse geht, die Achse heißt immer Bürgerpark, Parkhotel, Bahnhof, Bahnhofstraße, Sögestraße, Böttcherstraße. Parallel dazu liefen immer Überlegungen und Untersuchungen - übrigens seit insgesamt 60 Jahren - wie man ein Loch durch den Bahnhof kriegt. Und im Zusammenhang damit sollte der gesamte Bahnhofsvorplatz (Nordausgang) attraktiver gemacht werden. Ein Platz entsteht aber duch seine Wände. Und dieser Platz war bisher so, daß, wenn ich als Tourist nach Bremen gekommen wäre und aus Versehen den Nordausgang benutzt hätte, noch mit der total maroden Fassade des Lloyd-Hotels - ich wäre in den Zug gestiegen und wieder abgefahren. Und durch

den Abriß hat man nun dieses Loch geschafft. Die Stadt hatte kein Geld, das Llloydhotel zu kaufen, es wollte keiner haben, es stand jahrelang leer, keinem war es interessant genug. Bis dann der Herr Hornung, Bremer Kaufmann und Investor, das gekauft hat und zuerst einen Supermarkt da reinmachen wollte.

Aber dann war sehr schnell bei den Problemen allen Beteiligten klar: Das können wir nur gemeinsam bewältigen. Es gab den Vertrag: Die Stadt und Herr Hornung liefern beide ein leergeräumtes Grundstück. Meine Partner und ich machen jetzt gleichzeitig ein Gutachten für die Bundesbahn, wie man diese Durchgangsröhren umgestaltet. Insgesamt gibt es vier Röhren, die dann mal Läden etc. enthalten sollen. Aber alles ist noch offen und eigentlich noch nicht spruchreif.

An was für einer Architektur orientieren Sie sich?

An regionaler, an Bahnhofsarchitektur; ich möchte, daß man von weitem erkennt, daß das ein Bahnhof ist, aber mit einer neuzeitlichen Aussage. Und wir müssen Beziehungen herstellen zu der Umgebung.

Mit Postmoderne haben Sie nichts zu tun?

Ich habe immer eine Architektur verfolgt von Funktionalem und gut gestaltetem Detail. Die dänische Architektur liebe ich sehr mit ihrem starken Funktionalismus.

Vorbild Gropius?

Von Gropius haben wir alle gelernt, von der Moderne sind wir alle beeinflußt, ob wir wollen oder nicht. Für mich ganz wichtig sind immer die Nachbarschaften. Die Angst von Menschen, wenn etwas abgerissen wird, kommt ja immer daher, daß sie fürchten, da kommt nun etwas ganz Gräßliches hin, weil Bauherren und ihre Architekten oft überhaupt nicht kucken: Was steht eigentlich in der Nachbarschaft.

Mit was für Augen gehen Sie eigentlich durch die Stadt?

Da bin ich ja ganz gerührt, daß sie das fragen. (Pause). Es gibt ja Lärmschutzgesetze inzwischen. Das müßte es auch für die Augen geben. Ich wünsche mir, daß wir mit den Verkehrsplanern ins Gespräch kommen. Also daß es nicht nur diese Straße sein muß, sondern daß es rechts und links auch noch was gibt. Oder wenn Straßenverbreiterungen gemacht werden: nicht rechts und links die Bäume wegschlagen, sondern eine Seite lassen, und die andere Straßenseite daneben bauen.

Von was lassen Sie sich inspirieren?

Von der Kunst, Konstruktivismus. Und vom Leben. Wichtig ist ja, zu spüren: Was wollen eigentlich Menschen? Fragen: clak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen