Buddeln nach dem vergangenen Alltag

■ Sommerferienaktion „Archäologiespiel“: Statt Gold und Edelsteine werden Scherben und Dosenverschlüsse gesucht

Kreuzberg. Der Mann schaut amüsiert. „Grabt ihr hier nach Gold?“ will er wissen. Zehn Kinder und drei Betreuer blicken von ihren Spaten und Schaufeln auf. Vielleicht hofft ja eines der Kinder im stillen, der steinigen Kreuzberger Erde ein paar Goldklumpen zu entreißen. Offiziell jedoch suchen sie nach Fundsachen eines vergangenen Alltags, die hier in der Erde lagern. Die Kinder nehmen teil am „Archäologiespiel“, der diesjährigen Sommerferienaktion des Museumspädagogischen Dienstes.

„Erst mal sollen die Kinder ihren Spaß haben“, sagt Bianca Anger-Prochnow vom Museumspädagogischen Dienst und Projektleiterin bei der Grabung in der Lindenstraße 39. „Wir bieten den Kindern, die in den Ferien zu Hause bleiben, eine Möglichkeit, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Die Kinder sollen an Kunst und Geschichte spielerisch herangeführt werden.“ Seit etwa zehn Jahren versuchen die Museumspädagogen, den Kindern Alltagsgeschichte nahezubringen. Da gab es „Shakespeare für Kinder“ oder eine Arbeit über Kinder in der Kunst. An ein Archäologiespiel war schon 1987 gedacht worden - „aber dann war der Boden wegen Tschernobyl verseucht“, sagt Bianca Anger-Prochnow.

Bruce, einer der Betreuer, zieht in der Hitze sein T-Shirt aus und schwingt die Picke. Nach jedem Schlag staubt die Erde auf. „Halt! Was ist das?“ Alle scharen sich um das Loch. Die Scherbe wird herausgesucht. „Ach nichts, los, weiter.“ Auch die Kinder graben, waschen die gefundenen Tonscherben oder Steine sauber und sammeln sie in Kartons. Lose Erde wird durch ein großes Sieb geschüttet, der Aushubberg wächst. Auf etwa zehn Quadratmetern wollen sie einen Meter tief graben. Interessierte Kinder können auch ohne Anmeldung in der Lindenstraße 39 im zweiten Hinterhof vorbeischauen. Das Vorderhaus ist eines der ältesten Wohnhäuser Kreuzbergs, erbaut um 1750, in drei Baustufen erhöht und aufgestockt, aber in seiner ursprünglichen Substanz erhalten. Der Grabungsort war einmal ein parkähnlicher Garten, wurde dann zum Schulhof und Hinterhof. An ihn grenzten eine Kirche und eine Schule. Heute wird die Grabungsstelle von einem Schrottplatz und vom Gebäude der Bundesdruckerei begrenzt, gleich nebenan ist die langumstrittene Alte Feuerwache Lindenstraße.

Mohammed, sieben Jahre alt, springt voller Elan auf seine Schaufel und schlägt sich den Holzgriff beinahe vor die Stirn. So wie er haben auch Fridolin, Jan und Tim nach zwei Stunden Buddeln unter der heißen Sonne die große Grabungslust verloren. Sie gehen lieber in den Büschen auf Grashüpferjagd oder bewerfen sich mit Kletten. Ein Problem an diesem ersten Tag der Aktion ist die Überzahl an kleineren Kindern: Das Angebot war eigentlich für Kinder von 10 bis 16 Jahren gedacht, aber heute ist kaum ein Kind da, das das Wort „Archäologie“ richtig buchstabieren könnte.

Eine Ausnahme ist da Bettina. Sie ist 14 und damit die Älteste in der Gruppe. Mit einem kleinen Hämmerchen befreit sie verrostete Nägel vom Rost, behutsam bearbeitet sie das Metall. „Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert“, sagt sie, „und vielleicht werde ich ja auch mal Archäologin.“ Ob sie denn die zwei Wochen dabeibleiben will? „Klar, denn gerade zum Ende wird's ja spannend, wenn's ans Auswerten geht.“ Die anderen Kinder sind nicht so sicher, ob sie wiederkommen werden: „Mal sehen, was wir im Hort machen“, und vor allem: „Mal sehen, wie heiß es ist.“

Regen wünschen sich alle hier bei der Grabung. Dann staubt es nicht mehr so schlimm, die Erde wird lockerer, und die Fundsachen werden freigespült. Gefunden haben sie am ersten Tag vor allem Scherben von Tongefäßen, Porzellan, Glasflaschen, Knöpfe, Brocken von Mauersteinen und Schieferstücke. Alles wird nummeriert und inventarisiert und eventuell - je nach Erfolg dieser „Verdachtsgrabung“ ausgestellt. Bei der Auswertung der Funde am Nachmittag wird unterschieden zwischen historischem Fund und ökologischer Sünde.

Rainer Schelling, einer der Leiter der Grabung, erklärt den Unterschied zwischen historischem Glas („mundgeblasen, unregelmäßig“) und modernem („gepreßt, hat eine Naht an der Seite“). Der gefundene Coladosenverschluß ist auch schon „mindestens zwei Jahre alt, die neuen kriegt man nicht mehr ab“. Und ist der geringelte Draht nun eine historische Verzierung oder eine profane Bettfeder? Nach der Devise der Großstadtkinder („Milch kommt aus der Flasche“) lautet die Antwort auf die Frage der Betreuer: „Woher kommt der Backstein?“ dann auch prompt: „Aus der Backsteinfabrik!“

Bernhard Pötter

Die kostenlose Veranstaltung für Kinder von 10 bis 16 findet noch bis zum 18. August statt; Informationen unter Tel.: 2122-2808.