: Morgens schwitzen, abends sitzen
■ „Tanz im August“ und „Tanzwerkstatt“: Workshops, Aufführungen, Vorträge
Seit zwei Jahren veranstaltet das Hebbel-Theater die Sommer-Werkstatt für Theater, Tanz, Musik und bildende Kunst, die sich nicht nur als Bühne für spektakuläre Aufführungen versteht, sondern zugleich als Ort der Produktion, Kommunikation und Reflexion funktioniert. In der Tanzwerkstatt tragen seitdem Aufführungen, Workshops für Tänzer und Choreographen, historische Tanzforschung und ein Symposium zur Vernetzung der Tanzszene bei. Zudem ermöglicht sie der in ihren Nischen isolierten freien Tanzszene Berlins bis in die Knochen Fühlung mit den unterschiedlichsten Entwicklungen der Körpertechniken aufzunehmen und sich in den choreographischen Methoden der Findung und Bearbeitung des tänzerischen Vokabulars zu vergleichen.
Nele Hertling, Leiterin der Werkstatt und Intendantin des Hebbel-Theaters, die Tanzfabrik, die historische Compagnie L'autre pas und Johannes Odenthal, Herausgeber der Zeitschrift 'tanz aktuell‘, haben auch in diesem Jahr wieder gemeinsam das Programm aufgestellt. Für die Aufführungsreihe Tanz im August, dem letzte Woche mit dem Tanztheaterprojekt Anna, Anima & Narziß (siehe taz vom 4.8.) eröffneten öffentlichen Teil der Tanzwerkstatt, hat Nele Hertling als Berliner Vorspiel Regina Baumgarts Flugstücke und das derb-groteske und erdverbundene Duo Rubato eingeladen. Anne Teresa Keersmaekers und ihr Frauenensemble Rosas aus Brüssel werden ihren längst fälligen Auftritt in Berlin absolvieren. Douglas Dunn wird mit seiner Compagnie eine Choreographie zeigen, die er im Auftrag der Pariser Oper entwickelt hat.
Dunn, der zur Generation des amerikanischen Aufbruchs in die Postmoderne gehört, hat in seiner Entwicklung selbst die Stadien von einer minimalistischen und reduzierten Körpersprache bis zu komplexen Choreographien durchlaufen. In einem Workshop für Tänzer und Choreographen wird er Elemente der Komposition vermitteln. Fragen nach dem Auslöser der choreographischen Motive, nach den Quellen der Intuition und der bewußten Artikulation der Zielvorstellungen umkreisen diesen Prozeß. Kei Takei hat durch ihre Arbeit mit professionellen Tänzern und Laien individuelle körperliche Artikulationsformen entdeckt, die, unabhängig von der Beherrschung der oft schon fetischisierten Techniken, Kommunikation zwischen der Innen und Außenwelt ermöglichen. Sie wird in einem Workshop mit Tänzern in zehn Tagen eine Performance vorbereiten. Die Französin Karin Saporta geht mit einem philosophisch und psychologisch geschulten Ansatz den durch die Körpersprache vermittelten Entwürfen von Identität nach. In ihrem Workshop für Choreographen sucht sie die Verständigung über Materialfindung und Verdichtung, über die Instrumentalisierung des Körpers und seine Möglichkeiten einer authentischen Sprache. Vor diesen Übungen wird ein Morgentraining bei Jenny Coogan und Irene Hultmann die Tänzer durchkneten.
In drei Studioprogrammen, in der Tanzfabrik und in der erstmals dem Tanz sich öffnenden Werkstatt des Schillertheaters gezeigt, stellen sich neben Kei Takei, Jenny Coogan und Irene Hultmann die Berliner Tänzerin Riki von Falken, die mit einem Soloabend im Kammermusiksaal ein neues kontemplatives Verhältnis zwischen Tanz und Architektur wagte, Myriam Naisy, die Coogan Dancers aus München und die Compagnie Taffanel aus Montpellier vor.
Im Jubeljahr 1988 war die Finanzierung der Tanzwerkstatt kein Problem. Seither werden jedoch jährlich neue Quellen gesucht. Anke Martiny, beim Aufpolieren ihres blassen Images in die Trickkiste des immer aktuellen Kampfes gegen die allgegenwärtige Diskriminierung von Frauen greifend, verordnete der „Werkstatt 1990“ das Motto „Frauen setzen Zeichen“ als Bedingung der diesjährigen Finanzierung, die dann zum Ärger der Berliner Szene aus dem Topf für freie Gruppen herausgekratzt wurde.
Das Etikett „Frauen setzen Zeichen“ konnte sich die Tanzwerkstatt mühelos aufkleben, da Frauen nicht nur zum großen Teil die Organisation bestreiten, sondern auch die Aufführungs- und Workshop-Programme. Zudem aber läßt die Geschichte des modernen Tanzes im 20. Jahrhundert, in dem immer wieder Frauen von Mary Wigman, Martha Graham und Isadora Duncan bis zu Trisha Brown und Pina Bausch gegen den Kodex des festgelegten Bewegungsvokabulars rebellierten, eine Problematisierung des Zusammenhangs von Weiblichkeit und Körperbild in einer Reihe von Vorträgen zu.
Die Tanzkritik begann bei den romantischen Ballettschriftstellern des 19. Jahrhunderts mit durchaus erotischen und voyeuristischen Untertönen. Wie weit der Blick auf das andere Geschlecht und die Projektionen des Anderen die Wahrnehmung des Tanzes in der bürgerlichen Gesellschaft stimulieren, wird der Beitrag des Ethnologen Hans-Jürgen Heinrichs berühren. Die Tanzpädagogin und Journalistin Malve Gradinger fragt nach dem Stellenwert der geschlechtlichen Konditionierung für den kreativen Prozeß. Der Mythos der Ballerina, die für die Verkörperung eines männlichen Weiblichkeitsideals den Preis der Verdrängung der eigenen Körperlichkeit zahlen mußte, wird im Zentrum eines Vortrages der Tänzerin und Soziologin Verna Lorenz stehen. Gabriele Klein, Tänzerin und Sportsoziologin, skizziert die wechselnden Konstruktionen des Weiblichen in den Chiffren der Natürlichkeit und des Innerlichen in der Tanzkunst. Historischer Ausgangspunkt für den Auftritt der Tänzerinnen ist für sie das Ende des feudalen und repräsentativen Tanzes, der als ästhetisierte Artikulationsform politischer Macht diente. Mit dem Beginn der bürgerlichen Kultur werden die Frauen als Personifizierungen eines neuen Ideals von Natürlichkeit zugelassen; den Part der Rebellion gegen die Regeln übernehmen sie bis in die amerikanische Postmoderne und das deutsche Tanztheater hinein immer wieder.
Die kurze Gegenwärtigkeit des Tanzerlebnisses verlängert nicht nur die Vortragsreihe in die Geschichte hinein; praktische Recherche wird in den Early-dance-Projekten weitergetrieben. Klaus Abromeit von der Berliner Gruppe L'autre pas begreift die „European Early Dance Company“, die sich aus europäischen Workshopteilnehmern der letzten Jahre zusammenfand, als eine Plattform, um verstreute Projekte europäischer Tanzforscher zu bündeln und zu realisieren. In Soli und Duos werden sie dieses Jahr kleine Modelle erarbeiten, die für den Umgang mit dem historischen Material zwischen historisierender Rekonstrukion und abstrakter Reflexion neue Perspektiven aufzeigen. Die Wurzeln des grotesken Tanzes freizulegen und ein körperliches Ausdrucksspektrum zu entdecken, das sich aus dem Verstoß gegen die normative Linie der Schönheit entwickelte, ist das Ziel zweier Workshops, die Bilderzyklen von Callot und Lambranzi zum Ausgangspunkt nehmen.
Die Intention, Natur als Inszenierung zu begreifen und unsere Wahrnehmung für die Künstlichkeit des alltäglichen gebauten Lebensraumes zu schärfen, liegt dem neuen Stück von L'autre pas - ... mit unbemerktem Schritt gedreht zugrunde, das nach einem Libretto des 18. Jahrhunderts erarbeitet, im Schloßpark Charlottenburg mit moderner Musik aufgeführt wird. Dort wird die barocke Raumerfahrung fruchtbar gemacht, um Distanz zu unserer eigenen Positionierung im Raum zu ermöglichen.
Im Foyer des Hebbel-Theaters sind außerdem Entwürfe und Zeichnungen von Architekturstudenten der HdK zu sehen. Das Projekt „Tanzhaus“, ein Wunschtraum der Berliner Tanzszene, um für Aufführungen, Proben und Unterricht einen festen Ort zu erhalten, hat sich choreographische Chiffren zunutze gemacht, die in die Architektur einfließen. Pirouetten verwandeln sich zu Rondellen und Arenen, Arabesken werden zu sich kreuzenden Linien, weit ausgreifende Armbewegungen erschaffen den Kuppelraum. So einfach ist das. Dennoch, Martha Grahams Harlequinade von 1934, ein wirbelndes Raumerlebnis, wird in einem spiraligen Bau vergegenwärtigt, der selbst zu tanzen scheint.
Katrin Bettina Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen