: Der Dichter schreibt nach Hause
■ Achternbuschs „Hick's Last Stand“
Mag Herbert Achternbusch auch als der Bodenständigste gelten, so zieht es ihn doch immer hinaus: Schiffe mit weißen Segeln fahren über den Starnberger See ins „Kasperleland“ (Der Komantsche), im Zug, vor vorbeifliegenden Landschaften spricht der flüchtende „Nil“ seinen Monolog (Das letzte Loch), zwei Männer wollen über den Atlantik schwimmen (Atlantikschwimmer): „Du hast keine Chance...“ Nur wenige seiner Filme spielen ausschließlich in Bayern. Sie spielen immer auch im Exil: in Grönland, Paris, Griechenland, Afrika. Oder sie spielen dort, wohin es ihn zieht, um zu sterben: in China (Blaue Blumen) oder in Amerika, wo „Hick“ seinen letzten Auftritt haben soll.
Hick's Last Stand ist ein Roadmovie. Gedreht auf einer Urlaubsreise durch den Westen der USA, zwischen Wyoming, Idaho und New Mexico. Verlängert heißt der Filmtitel: Amerika und Trucks. Immer von rechts nach links... Unterwegs. Landschaften nebenbei. Doch nur am Anfang halten sich die Trucks daran, am Ende fahren sie im Regen eine Zigarrenlänge lang von links nach rechts am rauchenden Dichter vorbei. Manchmal rollen endlos lange Züge durch weite Ebenen. Wolkenungetüme stehen am Himmel. Der Dichter schreibt nach Hause. An Mary, nicht mehr an Susan. Er schreibt: „Ich war bei dir im falschen Haus und fickte schlecht.“ Er schreibt von „Yukon Jack“, einem Whisky-Likör, den verlassene Männer trinken, um das Land kennenzulernen.
Es handelt sich jedoch um eine andere Einsamkeit als jene, die sich in sattsam bekannten Roadmovies a la Wenders zeigt, wo einer am Strand sitzt und in sein Tagebüchlein schreibt, während der Mitarbeiterstab um ihn herum bemüht ist, männliche Gebrochenheit im Verhältnis eins zu eins abzulichten.
Solche Stilisierungen hat Achternbusch nicht nötig. In seinem Kopf verwandelt sich das Geschehen in andere Worte und protokollarische Reisebilder. Nie Abbilder; Abbilder würden Sätze wie „die Männer auf der Toilette sind scheu“ zerstören. Wenn der Dichter daran denkt, daß er schlecht fickt, sieht man Landschaften.
Achternbusch steht ruhig im Bild; mit weißen Cowboystiefeln an der Straße, vor verlassenen Hotels. Zwei Plastiktüten schleppt er während des ganzen Films mit sich herum; zwei Klorollenfetzen hängen ihm aus dem Hut über die Ohren als Schmuck. Die Feder am Hut macht ihn wieder zum weißen Indianer. Später blickt er durch die Schlitze einer magischen Holzbrille. Der Dichter ist immer auch Filmer und Maler; nur selten vermischen sich die unterschiedlichen Ebenen - Wort, Bild, Musik. Da sind sehnsüchtige Hollywoodsongs - Judy Garland -, Opernarnien, Asiatisches. Oder nichts. Da sind die verwaschenen Farben des 16mm-Films, aufgeblasen auf 35mm, daß man denken könnte, der Film wäre in 8mm gedreht. Achternbusch ist ein Meister des kleinen Formats und die Revuefarben erleichtern das durch Kodak korrumpierte Auge, und die Bilder, die es trotz des schönsten Regenbogens, der sich von Bildrand zu Bildrand spannt, nie nötig haben anzugeben, geben den Monologen neuen Raum.
Statt buddhistischem Gelb, wie in Mix-Wix, seinem letzten Film, dominiert jetzt Blau - „Blaue Berge sage ich zu ihnen“ - sagt der Dichter zu den Rocky Mountains, doch Gelb bleibt untergelegt; im grünen Tee. Und wie sich der buddhistische Dichter Han Shan mit Pflaumenschnaps betrinkt, auf das Gelb des Buddhismus also Blau legt, so betrinkt sich der Asienfreund Achternbusch - seinen nächsten Film wird er in der Mongolei drehen - mit Yukon Jack. Man denkt an Blau.
Ungefähr fünfzig Minuten spricht der Dichter. Das Vorangehen wird durch Metaphernfolgen, durch ähnliche Wörter oder Bilder gewährleistet. Wie inBlaue Blumen gibt es kein Drehbuch; die Texte entstanden von Tag zu Tag. Wo am Anfang der „saftige Igel“ seiner Freundin steht, stehen später Kakteen und der Dichter gräbt eine saftige Melone aus, schneidet ein Stück heraus und fügt es ausgelutscht zurück an seinen ehemaligen Platz. Plötzlich wird er beschossen. Die Sprache rettet ihn.
Was in früheren Filmen Achternbuschs manchmal aufstieß: Beschimpfungslitaneien, die befürchten ließen, daß er irgendwann zum Tanzbären oder Politclown werden würde, kommt hier nur kurz, wenn er von sich als Antideutschem spricht; kommt äußerst wirkungsvoll und genau, wenn er sagt: „Die Amerikaner haben auf die Indianer so lange eingedroschen, bis die Indianer blöder waren als die Weißen... Diese amerikanischen Hinterwäldler mußten sich riesig anstrengen, bis sie die liebenswerte Kultur der Indianer unter ihre eigene Niveaulosigkeit erniedrigt und erstickt hatten.“ Und die Bilder, die zu diesen Sätzen gehören, kommen erst viel später und werden mehrmals - in Zeitlupe - wiederholt: Indianer in schönstem Federschmuck tanzen mit Nummern an ihren Kleidern, wie Eiskunstläufer vor der Jury, als Touristenattraktion für die Weißen.
Hick's Last Stand ist ein großartiger Literaturfilm. Vielleicht einer der wenigen, die es im deutschsprachigen Raum gibt. Am Ende stirbt der Dichter. Wahrscheinlich. Am Ende sagt er: „Ich bin nicht blöde. Ich fick‘ nicht mehr.“
Detlef Kuhlbrodt
Hick's Last Stand von Herbert Achternbusch, Kamera: Kordula Smolka, Mitarbeit: Gabi Geist, Edgar Frank, BRD 1990, 79 Minuten, 8 Sekunden und 4 Bilder.
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