piwik no script img

Vom Lichtspielwesen

■ DEFA-Souvenirs: Geschichte und Geschichten aus der Babelsberger Traumfabrik

Eine Serie von Christoph Busch, Teil4

Seit Anfang Juli ist die DEFA eine GmbH. Sie darf in der nächsten Saison noch sechs waschechte DDR-Filme produzieren, aber das Rezept für die Zukunft lautet: Auslandsaufträge. Als erster kam Loriot. Er dreht in Babelsberg Papa ante portas. Dennoch warten viele DDR-Filmschaffende zur Zeit auf ihre Entlassungspapiere: Die Zukunft der DEFA ist undurchsichtig. Eine Ursache sind Nachwirkungen der Vergangenheit: Abgestufte Privilegien, Konflikte zwischen „Künstlern“ und Belegschaft, zwischen ästhetischem Anspruch und Schrebergartenpflichterfüllung. Das DDR-Filmwesen war eingeklemmt zwischen Zensur und der Kunst der indirekten Rede einerseits und den soliden Arbeitsbedingungen andererseits. Christoph Busch hat für seine fünfteilige Serie (jeweils donnerstags) in den Annalen gekramt, Experten konsultiert und mit Mitarbeitern gesprochen. Heute: Von Eiern, Potemkinschen Hirschen und Kohlpflanzen - Anekdoten aus der Traumfabrik.

April 1988. Ein Schild vor der Tür weist darauf hin, daß das Hauptgebäude der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen im Grenzgebiet liegt und nur mit einem Sonderausweis zu betreten ist. Drinnen hängt das Programm der gerade laufenden „Studentenfilmtage“, deretwegen ich hier bin. Also überschreite ich die Schwelle. Die Pförtnerin, eine nette, ältere Dame, erkennt in mir sofort den ausweislosen Westler und möchte mich herauskomplementieren. Aber dann tritt sie doch kurz vor die Tür, schaut die baumgesäumte Karl-Marx-Allee rauf und runter: Es sei gerade keine Polizei zu sehen. Ich darf mir fix die Wandzeitung mit dem Programm anschauen. Das Seminar mit Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase beginnt um 14 Uhr im „Stalinhaus“ (der Herr hat dort während des Potsdamer Abkommens gewohnt). Bei dieser Villa steht das Grenz gebietssondergenehmigungsschild hinterm Haus.

Wolfgang Kohlhaase sitzt mit dem Rücken zum Glienicker See, auf dem Westboote schippern. Alle Plätze im Raum sind besetzt. Ein Studentenvertreter stellt den Gast vor und die erste Frage: Wie er zur Kritik an Solo Sunny als „versöhnlerisch“ stehe? Kohlhaase hat sich weit im Stuhl zurückgelehnt, schiebt sein Jackett immer wieder nach hinten, den Bauch raus. Das scheint vital, aber es ist auch Krampf, immer dann, wenn er nach den gerade zulässigen Worten sucht. Die kommen dann locker. Natürlich findet er seinen Film nicht „versöhnlerisch“. Man hört raus, er hat eine wirkliche Sunny gekannt und ist mit ihr glücklich gewesen. Daher sein Stoff. Wie kann die Wirklichkeit „versöhnlerisch“ sein?

Der letzte Kongreß des Schriftstellerverbandes und die dürftige Berichterstattung darüber wird angesprochen, und Kohlhaase erzählt eine Geschichte aus den Sechzigern: Weil man sich beim Hühnerfutter verkalkuliert hätte, habe Eiermangel geherrscht. So sei beschlossen worden, in Filmen, im Theater und anderen Medien dürften keine Eier mehr vorkommen. Das sei in der irrigen Annahme geschehen, ein Problem, das in den Medien nicht vorkomme, existiere nicht, und das sei die Umkehrung der früheren Annahme, mit einem Film schlagartig das Bewußtsein ändern zu können. Anfangs hätte er diese Auffassung geteilt.

Szenenwechsel 1990. Holzbänke und Tische mit schrägen Beinen unter großen Bäumen, gerahmt von Blumenkästen und Aschern auf Ständern: Die Freiluftkantine des DEFA -Dokumantarfilmstudios in Babelsberg hat was von einem Campingplatz.

Mein Gegenüber, Herr Harnel, 52, hat 1948 als Kaufmannslehrling bei der DEFA angefangen. Nach Aufnahmen und Produktionen leitet er heute die Verwaltung des Dokumentarfilmstudios. Der Chef erzählt Anekdoten. Zum Beispiel von der Entstehung er Erde: „Die Urerde haben wir im Atelier aufgebaut: Vulkane mit glühender Magma drumherum. Die bestand aus in der Küche mühsam gekochter roter Grütze. Von unten waren Schläuche drin, Beleuchter lagen darunter, die dann auf Kommando pusten mußten und dann: Blopp! Sah toll aus, wirklich echt.“

Echt sehen auch die Sowjetsoldaten aus. Sie sollen in dem Film Weimar liegt bei Buchenwald die Gedenkstätte des KZs beleben. Nach Drehbuchkontrolle und Stempelorgie gibt's grünes Licht. „Weil ich aber das Sicherheitsbedürfnis der russischen Truppen kannte, habe ich mir nur die Hälfte der Soldaten selbst ausgesucht. Den Rest, habe ich gesagt, sollen sie uns schicken. Das waren dann auch alles einfache Soldaten, die uns da zur Verfügung gestellt wurden. Die hatten nur eine Eigenart: Wenn der Regisseur sagte: Der Dritte von rechts zwei Schrite nach links, machten die das sofort. Ohne Übersetzung, ohne Dolmetscher.“

An Spur der Steine erinnern die Dreharbeiten auf der Großbaustelle des heutigen Gaskombinats „Schwarze Pumpe“. „Nun hatte der Regisseur die grandiose Idee, er möchte da, wo später das Tor dieses Werkes sein wird, die Arbeiter schon jetzt nach Hause strömen sehen. Nun strömt ja keiner, wo kein Tor ist, sondern die gingen alle auf dem kürzesten Weg zu ihren Unterkünften. Der Assistent und ich haben furchtbar gegrübelt und stießen auf eine Besichtigung. Jedenfalls sah es so aus, denn da standen 15 große Busse. Wir haben uns die Fahrer rangeholt: Könnt ihr uns helfen? Anhalten, die Leute aussteigen und durchs 'Tor‘ laufen lassen? Diese Schlitzohren sagten 'Ja‘ und kriegten alle 20 Mark von uns. Wir zurück, Licht und Kamera aufbauen. Die Busse kommen. Ich spurte zum ersten Bus, der Assistent zum zweiten. Der Assistent war etwas schneller als ich, macht die Tür auf und fällt rückwärts wieder raus. Ich wußte nicht, warum. Ich mache meine Bustür auf - wissen Sie, was in den Bussen war? Chinesen. 15 Busse voller Chinesen. Die kann ich doch nicht als Arbeiter in einem deutschen Betrieb verkaufen.“

Oder Harnels Interflug-Nummer - damals noch Lufthansa - in 3.000 Meter Höhe: „Ich habe mir einen Fallschirmgurt umgelegt und an Stelle des Fallschirms zwei Stahlkabel angelegt, die rechts und links in die offene Tür eingehängt wurden, die Füße auf der Türkante und mich schräg rausgelegt. Auf mir lag der Kameramann, den ich festhielt. In dem Gurtzeug hätte der sich nicht drehen können. Aber auf mir wie auf einer Couch liegend, konnte er vom Leitwerk zu den Motoren schwenken. Das war ein bißchen mulmig, aber wir haben es gemacht, um gute Bilder zu liefern.“

„Unser Umwelt- und Tierexperte“, wird Herr Gebser vorgestellt, der sich jetzt mit Schnitzel zu uns setzt. Am liebsten betätigt er seine Kamera in eigener Regie. So auch in dem „Film über hiesige Fischadlerpopulationen mit dem schlichten Titel: Fischadler.“ Die häufigsten Vorkommen und ein „optisch attraktives Umfeld“ finden sich in den Privatzoos der Prominenz, den sogenannten Staatsjagdgebieten. „Bei einem meiner Streifzüge durch die Staatsjagdgebiete nahm ich starken Ludergeruch wahr und ging der Sache nach. In einem ausgedehnten Schilfröhrichtgebiet fand ich einen verluderten Kronenzehner, einen Kapitalhirsch unterster Kategorie, mit einem sehr unsauber angesetzten Bauchschuß mit Brenneckemunition. Nun wußte ich ganz genau: Das ist Stophs Staatsjagdgebiet, das ist eine brandheiße Sache, und nun hast du entdeckt, daß der hohe Herr hier unsauber jagen geht.

Ich bin deswegen zum Jagdoberforstmeister Otto Pilz gegangen. „Du, Otto, da liegt im Schilf ein Kronenzehner. Ich will nicht viel Aufhebens darum machen. Aber seht mal zu, daß ihr das Tier wegkriegt, denn wenn die Leute vom Naturschutz dahinkommen oder jemand anders das sieht, könnte das doch ein bißchen unangenehme Publicity bringen.“ Woraufhin der sofort und ohne einen Hehl aus seinem Ärger über Stophs Schwiegersohn zu machen, loslegte: „Das war doch wieder dieser Becker, dieser schießwütige junge Mann, der andauernd durch die Gegend ballert und sich nicht waidgerecht zu verhalten versteht, sondern sich hier aufführt wie ein neureicher Playboy!

Der große Aha-Effekt für mich kam, als zur Jahreswende die Redaktion1199 des Deutschen Fernsehfunks im Westdeutschen Fernsehen eine Bambiauszeichnung bekam - auch so eine Trophäe. Die wurde von niemand anderem entgegengenommen als von eben jenem Herrn Becker. Der hat sich von seinem Schwiegervater getrennt und nunmehr als Redakteur in dieser Redaktion große Karriere gemacht.“

Adam und sein Paradies ist nicht der Film zur Anekdote, sondern einer über Natur- und Umweltschutz, der Herrn Harnel in schöne Jagdgebiete an der Müritz bringt. „Wir wollten dort in diesem Gebiet auch einen kapitalen Hirsch drehen. Nun haben aber Hirsche die unangenehme Eigenschaft, entweder am späten Abend aus dem Dickicht zu kommen oder am frühen Morgen. Da wir Orwo-Material benutzten, was ja nicht sehr hochempfindlich ist, ging das nicht. Also fuhren wir nach Moritzburg bei Dresden. Dort ist ein großes Wildgehege mit den herrlichsten Hirschen. Wir hatten ja keine Ahnung, was das für eine Katastrophe nach sich zog. Denn der fertige Film präsentierte einen hochkapitalen Hirsch an der Müritz, der dem Jagdherren und begeisterten Hirschjäger Stoph vorenthalten worden war. Beinahe wäre Otto Pilz über die Klinge gesprungen.“

Vom Potemkinschen Hirsch zum „Kartimat“: Herr Gerbser bekommt den Auftrag, Bilder dieser von Zeiss in Jena entwickelten, elektronisch gesteuerten Zeichenmaschine zu liefern. Ein Schreibkopf gleitet über die bewegliche Koordinatenarme eines Tisches und liefert technische Zeichnungen je nach elektronischer Dateneingabe. „Als ich dort hinkam, erklärte man mir: Das Gerät ist da, nur funktioniert es nicht. Wir können's aber bewegen, auf Knopfdruck: Bei KnopfA bewegt sich die y-Koordinate ein Stück. Bei B die x-Koordinate einen Schritt. Es kam noch hinzu, daß der Zeichenkopf nur kaum erkennbare Linien zeichnete, die filmisch nicht wiederzugeben waren.“ Also macht Herr Gerbser 68 Fotos der einzelnen Schritte und zeichnet auf den Abzügen die schwachen Linien nach. Die Bilder werden dann auf dem Tricktisch abgefilmt. „Die Zeissleute haben mit den Ohren geschlackert, wie ihr Gerät funktionierte. Ich hatte ganz einfach den Ehrgeiz, so ein funktionierendes Gerät zu zeigen. Verdammt noch mal.“

Macherehrgeiz treibt auch Herrn Harnel an, als unbedingt eine neue landwirtschaftliche Maschine zur Kohlpflanzung propagiert werden muß. Aber wochenlang kommt das Ding nicht in Gang, setzt keine einzige Pflanze. „Wir haben zwei Bühnenarbeiter mit Stricken unter die Maschine gebunden und denen einen Spankorb mit Kohlpflanzen um den Hals gehängt. Die mußten im Rhythmus einer Trillerpfeife - pprt - prrt prrt - die Dinger in die Erde drücken. Von weitem sah das aus, als wenn die Maschine in vier Reihen Kohl pflanzte.“

Kurz darauf seilt sich Herr Harnel ab. Er muß zur Sitzung mit seinen Abteilungsleitern. Die Entlassungen werden ausgehandelt: „Früher war das so: Wenn bei zwölf Mann kein Maler dabei war, wurde ein 13. eingestellt. Jetzt sind Mehrfachkönner gefragt.“

Nächsten Donnerstag: „Abenteuer eines Friedfertigen“ und Erinnerungen an Wolfgang Staudte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen