Vom Zugfahren in Polen

■ Tips von der Pinnwand der taz-KorrespondentInnen

Zugfahren war in Polen schon immer ein Abenteuer, wenigstens während der letzten vierzig Jahre - zum einen wegen der Verspätungen, zum andern wegen der Tatsache, daß man nicht immer dort ankam, wo man hinwollte. Vor einigen Jahren hängten die Rangierer den Kurswagen nach Moskau vom Chopin -Expreß ab und schickten ihn nach Poznan. In Moskau kam er deshalb erst mit mehreren Tagen Verspätung an. Damit sind wir auch schon beim Thema: Berühmt-berüchtigte Eisenbahnverbindungen in Polen.

Für BerlinerInnen sind vor allem zwei interessant: der Berolina-Expreß und der Ost-West-Expreß. Der erste fährt von Paris über Berlin nach Warschau, mit Anschluß nach Moskau. Bis vor kurzem war das einer der beliebten „Krempelmarkt-Züge“. Besonders in den Sitzwagen wurden allerlei Einkäufe und Schmuggelgut transportiert, weshalb es immer stundenlange Verspätungen durch Grenzkontrollen gab.

Der Ost-West-Expreß von Moskau nach Paris ist fahrplanmäßig 42 Stunden unterwegs - und außerplanmäßig meistens noch ein paar Stunden mehr. Kurz nach 20 Uhr geht's in Moskau los, am Nachmittag ist man in Warschau und 24 Stunden später in Paris. Am sowjetischen Grenzort Brest ist ein längerer Aufenthalt fällig, weil die breiteren russischen Schlafwagen auf engere Fahrgestelle gepaßt werden müssen. Der Zar hatte sich nämlich seinerzeit nicht an die europäischen Gleisnormen gehalten.

Häufig teilt man die Gesellschaft von afrikanischen Studenten, die den Moskauer Markt und ihre Kommilitonen in der sowjetischen Hauptstadt mit Radios, Kassettenrecordern und CD-Playern aus Westberliner „Duty-Free„-Läden versorgen. Da immer mehr Sowjetbürger Reisepässe erhalten und nun in Warschau handeln, spekulieren und schmuggeln - was vorher viele Polen in West-Berlin taten -, sind die Züge voll. An den Grenzen geht es recht hektisch und nervenaufreibend zu. Dies um so mehr, als in den letzten Wochen die sowjetischen Behörden zu schroffen Kontrollen und nachträglichem Einzug der Pässe übergegangen sind, was zu turbulenten Szenen an den westlichen Grenzstationen der Sowjetunion geführt hat.

Voll ist auch der Chopin-Expreß zwischen Wien und Warschau, der Kurswagen nach Krakau und Moskau führt. Da er nachts fährt, müssen „Handelsreisende“ nicht in teuren österreichischen Hotels übernachten. Praktisch alle internationalen Züge, die zwischen Moskau, Berlin, Wien, Prag oder Sofia verkehren, sind Nachtzüge - trotz des großen Defizits an polnischen Schlafwagen.

Aufmerksame Reisende werden ein recht kurioses Vermächtnis des realexistierenden Sozialismus bemerken, das bis heute nicht abgeschafft ist. Während man nämlich vierzig Jahre lang den nichtstaatlichen Handel als Spekulation verbot und ihn mit Hilfe von Polizei, Steuerbehörden, Geheimdienst und Zoll bekämpfte, unterstützte man ihn mit Hilfe der Fahrpläne.

Wie schwer hätte man es den Händlern und Schmugglern machen können, hätte man die Fahrpläne so geändert, daß die Züge morgens abfahren und abends ankommen: Zwei Nächte in teuren Hotels - das kann den gewieftesten Schmuggler auf den Pfad der Tugend zurückzwingen.

Klaus Bachmann