Ein Hauch von gesichtsloser Erotik

■ Trainingsstunde der American-Football-Mannschaft „Kansas City Chiefs“ auf dem Charlottenburger Maifeld

US-Bundesstaat Berlin. „Die sind gar nicht alle so dumm“, weiß der junge Berliner Polizist über die amerikanischen Footballer zu berichten, während uns die elliptischen Geschosse um die Ohren fliegen und der Wind das Keuchen der Spieler zu den Zuschauern trägt.

„Was der Zuschauer wahrnimmt, ist Übermenschliches, Herausragen über Menschenmögliches, Durchbrechen scheinbar unüberwindlicher Hindernisse. Das Idol soll sich grenzenlos verschwenden, seine Kräfte verausgaben, sich ohne Gedanken an die Zukunft hingeben. Seine Geste soll triumphal sein; die Gegner sollen verkleinert werden bis zum Verschwinden“, beschreibt Gunter Gebauer, Professor der Sportwissenschaft, die Omnipotenzphantasien der Zuschauer in seinem Aufsatz Die Masken und das Glück . über die Idole des Sports.

Ein Hauch von Verzückung breitet sich auf dem Gesicht des deutschen Polizisten aus, der als Polizeiorganisator mit der National Football League zusammenarbeitet und an diesem sonnigen Morgen in dieser Funktion das Training von über hundert amerikanischen Kolossen beobachten darf. Training ist Spiel, und Spiel ist Krieg, und Krieg ist ernst. Ein wütendes Brummen, dem Summen eines riesigen Wespenschwarms gleich, steigt aus den Helmen der Kansas City Chiefs hervor, bevor die Spieler kurz nach dem „snap“, dem Anspiel, scheinbar sinnlos, aber in jedem Falle lautstark krachend aufeinanderprallen.

Blocken - den Gegner mit dem Körper wegdrücken, wobei alle Körperteile oberhalb des Knies hemmungslos eingesetzt werden dürfen - und „tackling“ - das Festhalten und Zu-Boden -Bringen des Ballträgers - sind erlaubt, und ihre hemmungslose Ausführung ist auch beim Training gern gesehen. Verwunderlich, daß es einer dieser robotergleichen Gestalten immer wieder schafft, sich samt Lederei aus dem Gekloppe im Fachjargon „Tasche“ - herauszuschälen und eilends davonzurennen. Wie an unsichtbare Fäden geknüpft, bewegen sich die in eine 10 Kilo schwere Uniform gezwängten Spieler nach einem nur ihnen verständlichen Kode aus Worten und Handzeichen, der die sich ständig verändernde Spieltaktik anzeigt.

Klinisch reiner Sex, klinisch reiner Sport - im American Football werden amerikanisch-säuberliche Herzenswünsche offenbar: Kein Tropfen Schweiß hat auch nur annähernd die Chance, durch Suspensorium, Hüftpolster und Rippenschutz nach außen zu dringen, der Helm samt Schutzgitter tut sein übriges, um den Zuschauern den möglicherweise häßlichen Anblick eines Spielerantlitzes zu ersparen. Auf den Schränken liegt allenfalls ein Hauch von gesichtsloser Handtucherotik, die sie dank riesiger Polster zu signalaus sendenden Männlichkeitssymbolen avancieren läßt, während die fleischigen Schwergewichtler auf dem grünen Rasen den Ernstfall proben.

Football ist Kriegsspiel für die Daheimgebliebenen. Gebauer: „Im Sieg ihrer Idole erkennt die Gemeinde (Zuschauer) ihre Beteiligung: ihre Wünsche, ihr Mitwirken an den (der) Geschichte(n). (...) Der eigene Körper als Schlüssel zu allen Glücksgütern - dies ist eines der großen Versprechen des modernen Sports.“

Die Trainingsstunde neigt sich dem Ende zu, langsam schießt wieder Blut in die vor Anspannung weißen Fingerknöchel des jungen Polizisten. „Wenn die sich aus ihren Ausrüstungen schälen, dann sind sie gar nicht mehr so massiv und bedrohlich“, erzählt er, „dann fragen sie mich immer, wo man hier in Berlin am besten Bier trinken gehen kann.“

Martina Habersetzer