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Ein altes Feuerwehrauto für Sansibar

■ Helgoland will keine Städtepartnerschaft mit der Insel im Indischen Ozean

Von Gabi Haas

Seit Monaten, eigentlich schon seit Jahren, hat das krisengeschüttelte Helgoland dem heutigen Jubiläumstag entgegengefiebert. Das abgetakelte Kurhaus wurde renoviert, blätternde Fassaden übertüncht und geflickte Straßenbelege erneuert. In ihren winzig kleinen Häusern (Marke sozialer Wohnungsbau) sind die InselbewohnerInnen noch ein bißchen enger zusammengerückt: Das einst blühende Nordseebad, das seit Jahren unter kontinuierlichem Gästeschwund leidet, ist in diesen Tagen mit TouristInnen so vollgepfropft wie seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr. Die „Jahrhundertfeier“, die mangels geeigneter Räumlichkeiten heute unter freiem Himmel stattfinden muß (bei Regen wird ins Zelt umgezogen), soll dem reichlich vergilbten Charme des Kurheilbades zu neuem Glanz verhelfen.

Auch wenn Kanzler Kohl zum hundertsten Jahrestag der „Deutschwerdung“ der ehemals britischen Kronkolonie Helgoland (heute Landkreis Pinneberg) nur seinen Minister Rudolf Seiters schickt, an den Spitzen aus Staat und Gesellschaft wird es beim Open-Air-Festival auf dem roten Felsen nicht fehlen: Neben Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm werden die stellvertretende englische Botschafterin sowie der britische Militärattache Kurs auf Helgoland nehmen. Und zu dem großen ökumenischen Jubiläumsgottesdienst treffen soviele Kirchenprominente zusammen wie auf dem Boden des nördlichsten Bundeslandes seit der Barschel-Beerdigung nicht mehr. Hochrangigster Gast aus dem Ausland ist zweifellos der Präsident von Sansibar, Idris Abdul Wakil, der gleichzeitig das Amt des Vizepräsidenten der Vereinigten Republik Tansania bekleidet und mit einem Tross von Sicherheitsbeamten erwartet wird. Mit seinem kurzfristig angemeldeten Besuch hat er die InsulanerInnen in helle Aufregung versetzt.

Die Stippvisite des sansibarischen Präsidenten auf dem Nordseefelsen ist um so kurioser, als sich die Geschicke der beiden Inseln nur einmal in der Geschichte berührten - in jenem kolonialen Vertragswerk nämlich, das heute so werbewirksam gefeiert wird. Ansonsten beschränkten sich die Beziehungen zwischen der 1.800-Seelen-Gemeinde Helgoland und der 350.000 EinwohnerInnen zählenden Insel Sansibar, seit ihrer Revolution von 1964 Teil der Vereinigten Republik Tansania, auf die privaten Bemühungen des Helgoländer Kapellmeisters Martin Kirchner, der die Kontaktpflege zu Sansibar seit Jahren zu seinem großen Hobby machte.

Anfang der achtziger Jahre machte der reiselustige Pensionär während eines Ostafrikatrips einen Abstecher nach Sansibar, wo er die Erinnerungen an den historischen Vertrag auffrischte. Er besuchte auch den auf Sansibar aufgewachsenen evangelischen Pastor Nat Idarous, der damals als Afrika-Referent für „Brot für die Welt“ in Stuttgart lebte und an der Idee einer Städtepartnerschaft zwischen dem auf wirtschaftliche Hilfe angewiesenen Sansibar und der Nordseeinsel bastelte. Doch nach seinem ersten Helgoland -Besuch, so gibt der als Gast bei den Jubiläumsfestlichkeiten anwesende Idarous unumwunden zu, war die Enttäuschung über die Miniaturinsel groß: „Ich hatte gedacht, der Tausch vor hundert Jahren sei für die Deutschen etwas wert gewesen.“

Bei den Nordsee-InsulanerInnen stieß der Besucher vom Indischen Ozean 1980 überdies auf wenig Interesse mit seiner Idee für eine Städtepartnerschaft: „Freundschaft okay, aber für eine echte Partnerschaft ist die Entfernung viel zu groß“, so Helgolands Bürgervorsteher Horst Heikens, dem schon vor den enormen Reisekosten angst und bange wird.

Die HelgoländerInnen, die der Kirchenmann Idarous so gerne daran erinnnern möchte, daß „gerade jetzt, wo soviel über die DDR geredet wird, auch noch Beziehungen zur Dritten Welt nötig sind“, haben ihre eigenen Sorgen: Seit dem Boom von 1975 sind die jährlichen Übernachtungen von 400.000 auf 300.000 pro Jahr gesunken, und auch die Zahl der Tagesgäste ging rapide zurück. Ein Grund: Die Insel-Geschäftsleute, die nach dem Wiederaufbau in den fünfziger Jahren endlich wieder zu Geld gekommen waren, hatten ihr Vermögen lieber auf dem Festland angelegt, als es auf der eigenen Insel zu investieren. Erst vor zwei Jahren wurde auf der Insel mit großem finanziellen Aufwand damit begonnen, „das touristische Produkt Helgoland“, das zum Supermarkt für zollfreie Alkoholika, Tabak- und Parfümerie-Waren verkommen ist, auf die neue „sanfte“ Variante „Natur-Total-Helgoland 2010“ zu trimmen, wie das der autofreien Gemeinde mit der „staubfreiesten und pollenärmsten Luft Deutschlands“ in einem Tourismusgutachten empfohlen wurde.

Ein kleines Präsent hält Helgoland dennoch für seine Gäste aus Sansibar bereit: Weil die Insel zur 100-Jahr-Feier ein neues Feuerwehrauto bekommt, wird das alte auf Kosten der Landesregierung nach Sansibar verschifft. Und statt Helgoland soll jetzt vielleicht die Kreisstadt Pinneberg Städtepartner von Sansibar werden.

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