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Das KUSS-Prinzip: „Kurz und sehr simpel“

■ Bundesdeutsche Versicherungsvertreter machen DDR-BürgerInnen in Schnellkursen zu „Vermögensberatern“ / Windige Versuche, den Vorsprung der Allianz auf dem DDR-Versicherungsmarkt aufzuholen / „VM“, „VM02“, „VM03“, „VM04“: Wieviel Kundeneinheiten bringen welches Geld?

Von Kai Fürntratt/Jürgen Koch

Geduldig warten die Gäste vor dem Tagungsraum im „Congress -Hotel Rostock“. Beim Einlaß ertönt die alte 007 -Titelmelodie Goldfinger. Nachdem die sechs Frauen und 28 Männer Platz genommen haben, drückt der Versicherungsvertreter Grüter die Aus-Taste des Kassettenrecorders. Das „Berufsinformationsseminar“ der Deutschen Vermögensberatung AG aus Frankfurt am Main beginnt. Herr Grüter aus der Hamburger Filiale fordert die TeilnehmerInnen auf, sich mit Beruf, Alter und Familienstand vorzustellen, eine Anwesenheitsliste geht herum.

Schnell steht das Thema Geld im Mittelpunkt. Eine freiberufliche Tätigkeit für die Deutsche Vermögensberatung biete gute bis sehr gute Verdienstmöglichkeiten. In erster Linie seien Fleiß und Strebsamkeit, weniger die sofortige Fachkenntnis gefragt. Die Zusammenarbeit in der Firma sei durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen gekennzeichnet, man sei zwar selbständig, gleichzeitig aber Mitglied einer starken Gemeinschaft. Für 25 Mark erhalten die LehrerInnen, Kfz-Schlosser, Kindergärtnerinnen, Ingenieure, Hafenarbeiter und Büroangestellten ein Bündel Unterlagen - unter anderem einen Vordruck mit Durchschlag „6x6 Personen, die mich kennen“. Herr Grüter gibt die folgenden Schulungstermine bekannt, läßt zum Ausklang We are the Champions ertönen.

Die Deutsche Vermögensberatung ist mit über 4.000 VertreterInnen eine der großen bundesdeutschen Vermittlungsagenturen, die ihren „Partnergesellschaften“ Kunden in den Bereichen Versicherung, Bausparen, Investmentfonds zuführen. Der Vermittlungsschwerpunkt der Deutschen Vermögensberatung liegt im Bereich der Lebensversicherungen.

Mit dem Werbespruch „branchenunabhängige Beratung“ erweckt die Firma den Eindruck, sie würde aufgrund ihrer eigenen Unabhängigkeit ihren Kunden das jeweils günstigste Angebot vermitteln. „Branchenunabhängig“ heißt jedoch nur, daß die Deutsche Vermögensberatung von einer einzelnen Branche unabhängig ist und sowohl Versicherungs- als auch Bauspar und Investmentfondsverträge vermittelt.

Und: Mit Ausnahme des Investmentbereichs gibt es je Sparte nicht mehr als eine „Partnergesellschaft“. Es werden also nur Verträge einer Bausparkasse, einer Lebens-, einer Rechtsschutz-, einer Krankenversicherung angeboten. Beispiel Lebensversicherung: „Partnergesellschaft“ ist hier die Aachener und Münchener Lebensversicherung (A+M). Die Deutsche Vermögensberatung befindet sich zur Hälfte im Eigentum des A+M-Konzerns, die andere Hälfte gehört der Familie des Firmenchefs Reinhard Pohl. An den wichtigsten „Partnergesellschaften“ der Deutschen Vermögensberatung ist der A+M-Konzern ebenfalls beteiligt: Die Badenia-Bausparkasse gehört ihm zu knapp 60 Prozent, die Bank für Gemeinwirtschaft zur Hälfte und die Roland Rechtsschutzversicherung immer noch zu über einem Viertel.

Nachdem es dem größten deutschen Versicherer, der Allianz, gelungen ist, sich einen Mehrheitsanteil am ehemaligen DDR -Assekuranzmonopolisten Staatliche Versicherung anzueignen, steht die Konkurrenz unter Zugzwang. Die Allianz verfügt mit einem Schlag über eine DDR-weite Verkaufsorganisation, mit Büros in jeder Kreisstadt und VertreterInnen in fast jeder Gemeinde - A+M und andere müssen sich den DDR-Markt erst mühsam erschließen. Behilflich sind ihnen dabei Agenturen wie die Deutsche Vermögensberatung, die dabei hemdsärmeliger und rücksichtsloser vorgehen können als die hinter ihnen stehenden großen Versicherungskonzerne, die um ihren guten Ruf bemüht sein müssen.

Start mit

SED-Funktionären

Im Frühjahr begann die Deutsche Vermögensberatung in mehreren Städten ihren Einstieg in den vielversprechenden DDR-Markt mit Millionen versicherungsunerfahrenen BürgerInnen. Beim Knüpfen der ersten Maschen des neuen Vertriebsnetzes griff die Firma auf arbeitslos gewordene Funktionäre der SED zurück: An der Spitze ihrer Rostocker Vertriebshierarchie stehen ein ehemaliger Parteisekretär und ein früheres Mitglied der Parteikreisleitung Rostock-Hafen. Die Schulungen finden im Congress-Hotel Rostock statt, ehemals „Rosa-Luxemburg-Haus“, Parteischule der SED. Geleitet wird das jetzige Hotel von ehemaligen SED -GenossInnen.

Bei der Anwerbung neuer VertreterInnen verzichtet die Deutsche Vermögensberatung auf Außenwerbung. Die Einladungen zum ersten „Berufsinformationsseminar“ wurden auf Empfehlung der beiden SED-Funktionäre ausgesprochen. Montag abends treffen sich im Congress-Hotel diejenigen, die bei der Auftaktveranstaltung angebissen haben. Nach einigen Sitzungen werden die TeilnehmerInnen aufgefordert, „Gäste“ für das nächste „Berufsinformationsseminar“ zu benennen, deren „Betreuer“ sie dann sind.

Die Schulung läuft nach dem „KUSS„-Prinzip der „Kontaktregel 4“ der Deutschen Vermögensberatung ab: „Kurz und sehr simpel.“ So kommen bei Darstellung der Kapitallebensversicherungsverträge Effektivzinssätze nicht vor. Es wird einfach die Summe der während der meist 30jährigen Laufzeit eingezahlten Beiträge mit dem nach Ablauf der Versicherungsdauer auszuzahlenden Betrag verglichen. Kurz und knapp werden auch die Besonderheiten der Unfallversicherung erläutert: „Da brauchen wir noch ein kaputtes Auge, um auf einen Invaliditätsgrad von 100 Prozent zu kommen!“

„Vermögens- und

Subventionsanalysen“

Erste Aufgabe für die angehenden Vermögensberater: Sie sollen mit Freunden und Bekannten Kontaktgespräche führen und dabei „Vermögens- und Subventionsanalysen“ erstellen. Die „Analyse“ beleuchtet die gesamte Lebenssituation der möglichen Kunden: Familienverhältnisse, Ziele und Wünsche, Miete, Haus- und Wohnungseigentum, Sparguthaben, Schulden. Die Bereitschaft der möglichen Kunden, sich analysieren zu lassen, soll durch ein Gewinnspiel gefördert werden, bei dem unter anderem „7 Tage Urlaub im First-Class Hotel Norica in Maria Alm“ gewonnen werden können. Die Schulungsunterlagen regeln den Vertreterbesuch bis ins Detail: „Wenn Sie bei einem Kunden klingeln, treten Sie zwei Schritte zurück. Sie treten ihm nicht zu nahe und können ihm zum ersten Mal entgegenkommen.“

Das Kontaktgespräch hat nur ein einziges Ziel: „Die feste Vereinbarung eines Beratungstermins. Das Mittel dazu ist das Wecken von Neugier auf Ihr Angebot, ohne daß die Neugier befriedigt wird. In diesem Sinne ist das Kontaktgespräch ein eng begrenztes 'Reiz-Gespräch‘. Wer es bereits mit Beratungsinformation füllt, hat das Terminziel verfehlt. Solche Informationen würden nur zu Mißverständnissen, Vorurteilen und Diskussionen führen.“

Stationen

einer Karriere

Nach ihren ersten zehn „Analysen“ werden die TeilnehmerInnen zum „VM02“ („Vertrauensmann02“) ernannt. Die „Umstufung zum VM03“ erfolgt „nach Erstellung von mindestens zehn (weiteren) Analysen innerhalb eines Monats und daraus resultierend mindestens 150E innerhalb von maximal zwei Monaten“. Weitere Stufen führen schließlich zum vorläufigen Karrierehöhepunkt „Vermögensberater-Assistent“. In Rostock haben diese Stufe bisher nur die beiden ehemaligen SED -Funktionäre erreicht.

„E“ steht für Kundeneinheiten, hinter denen sich die erzielbaren Provisionen verbergen. Wieviel „E“ die einzelnen Vertragsabschlüsse wert sind, wird den „VM“ nicht verraten. Die Hamburger begründen dies damit, man wolle verhindern, daß sich die „VM“ von vornherein einseitig um bestimmte, besonders lukrative Vertragsabschlüsse bemühen. Ein „E“ ist für den „VM02“ vier DM wert, für den „VM04“ das Doppelte.

Der „Analyse“ schließt sich das „Beratungsgespräch“ an. Ziel ist jetzt die Unterschrift des Kunden unter einen Vertrag, denn: „Keine Provision ohne Abschluß!“ Das Beratungsgespräch führt der „VM“ mit einem ihm übergeordneten Mitglied der „Gemeinschaft“ durch, in der Regel mit seinem Betreuer. In Rollenspielen wird der Kundenbesuch vorher eingeübt, einschließlich des Abschiedsdialogs: „Hat Ihnen die Beratung gefallen?“ „Würden Sie uns weiterempfehlen?“ - „Wem denn?“

Um überhaupt die Chance zu haben, Geld zu verdienen, müssen die SchulungsteilnehmerInnen die Hierarchiestufe „VM02“ erreichen, also mindesten zehn „Analysen“ durchgeführt haben. Heißt es zunächst noch: „Macht nichts, wenn Sie das nicht sofort schaffen“, wird bald darauf daran erinnert, daß eine Gemeinschaft vom Geben und Wiedergeben lebe.

Wie ernst es der „Gemeinschaft“ damit ist, wird den TeilnehmerInnen durch Unterrichtsunterbrechungen deutlich gemacht. So platzt Herr Grüter in die Schulung, die sein Untergebener Pelka gerade durchführt, und fragt in die Runde, wer denn bisher noch keine „Analyse“ durchgeführt habe. Bei denen, die sich melden, hakt er nach: „Für wann haben Sie denn die ersten Termine vereinbart?“ Eine Woche später unterbricht Herr Grüter erneut den Unterricht. Er berichtet, daß in einer anderen Gruppe darüber abgestimmt worden sei, ob die Schulung von solchen Leuten weiter besucht werden solle, die ihr „Analyse„-Soll offensichtlich nicht schafften. Die Mehrzahl der Teilnehmer habe sich dagegen ausgesprochen.

„Wer sieht das hier auch so?“, fragt Herr Grüter. Schweigen. Grüter schiebt nach: „Wer wäre denn dafür, daß diese Leute hier bleiben?“ Es rührt sich keine Hand.

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