: Polizeiskandal ausgeweitet
■ Gerichtsvollzieher durchsucht Polizeipräsidium / Verteidigung droht mit Haftbefehl gegen Wallmann
Frankfurt/Main (taz) - Der Skandal um Ermittlungsunterlagen und Recherchemethoden der Frankfurter Polizei in Zusammenhang mit dem 129a-Verfahren wegen des Brandanschlags auf die Wertpapierbörse vom 12. April 1989 weitet sich aus. Gestern durchsuchte ein Gerichtsvollzieher die Diensträume des politischen Kommissariats K41. Die gesuchten Unterlagen, eine Lichtbildkartei sowie Kriminalakten, konnten dabei nicht sichergestellt werden: Das Material war von seinem angestammten Platz verschwunden. Leitende Beamte gaben an, über den Verbleib keine Angaben machen zu können.
Stefan Minden, Verteidiger im Börsenverfahren, warf der Polizei vor, die „Unterlagen weggeschafft und verschleppt“ zu haben. Die Polizei habe die „Notbremse“ gezogen, nachdem etliche Beamte bei ihren Vernehmungen vor Gericht „falsche und widersprüchliche Angaben über die Datei gemacht“ hätten. Rechtsanwalt Minden: „Das ist in der Bundesrepublik ein bislang einmaliger Polizeiskandal.“ Die Durchsuchung war der dritte vergebliche Versuch eines Gerichtsvollziehers, eine Anordnung des Verwaltungsgerichts (VG) Frankfurt im Zuge der Zwangsvollstreckung durchzusetzen und die Unterlagen herbeizuziehen.
Der Streit um die Lichtbildkartei „politisch motivierte Straftäter“ bestimmt den Börsenprozeß seit Monaten. Wie die taz berichtete, hatte das VG Frankfurt das hessische Innenministerium und das Polizeipräsidium zur Herausgabe der Beweismittel verpflichtet. Innenminister Milde hatte zuvor dem Oberlandesgericht die Unterlagen mit der Begründung verweigert, das gefährde die interne Polizeiarbeit, und das Wohl des Landes stünde auf dem Spiel. Die Verteidigung beklagte „offenen Rechtsbruch“. Das VG Frankfurt warf dem Innenminister „polizeistaatliche Gesinnung und ein gestörtes Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat“ vor.
Polizei und Ministerium haben gegen die Herausgabeanordnung Beschwerde beim hessischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt. Die Beschwerde hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Anträge, die Vollziehung bis zur höchstrichterlichen Entscheidung auszusetzen, wurden zurückgewiesen. Der zuständige 4. Strafsenat am Oberlandesgericht hat zudem die Anordnung von Zwangsgeld angedroht, falls das hessische Innenministerium nicht einen weiteren, vom VG ebenfalls als rechtswidrig beurteilten Sperrvermerk aufhebt und Beamten des K41 eine Aussagegenehmigung erteilt. Die Polizisten hatten sich bei einer ersten Vernehmung vor Gericht in eklatante Widersprüche verstrickt. Die Verteidigung wirft ihnen Falschaussage und Meineid vor.
Die Unterlagen sind für die vier Angeklagten von zentraler Bedeutung. Insbesondere für Stefan F. Stellt sich die Frage, ob ein Bild von ihm am Tage des Anschlags in der Datei war und warum ihn dann eine Zeugin nicht auf dem Foto, sondern erst Wochen später bei einer umstrittenen Gegenüberstellung erkannt haben will. Die 129a-Anklage gegen F. stützt sich allein auf die Aussage der Zeugin.
Die Verteidigung fordert nun von Frankfurts Polizeipräsident Gemmer, Innenminister Milde (CDU) und Ministerpräsident Wallmann (CDU) eine eidesstattliche Versicherung über den Verbleib der Unterlagen. Sollte dem nicht Folge geleistet werden, werde man gegen sie Haftbefehle beantragen. Unterdessen hat auch der hessische Datenschutzbeauftragte die Lichtbildkartei angefordert, weil sie unzulässig angelegt und geführt worden sein könnte.
M.B.
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