: Mit heißen Tränen aufs eiskalte Parkett
■ Der DDR-Eishockey-Club Dynamo Berlin - das ehemalige Lieblingskind von Stasi-Chef Erich Mielke wird sich nun zwischen Bundesliga und Sponsoren behaupten müssen / Am 14. September gehts erstmals gegen die Düsseldorfer EG
Ost-Berlin. Der 12. Mai 1990 wird Dieter Waschitowitz, dem Präsidenten des EHC Dynamo Berlin, ewig in Erinnerung bleiben. An diesem Tag beschloß der Deutsche Eishockey-Bund der BRD (DEB), die beiden einzigen Eishockeyvereine der DDR, die Dynamo-Teams aus Berlin und Weißwasser, in die erste Bundesliga aufzunehmen. „Uns standen die Tränen in den Augen“, gibt Waschitowitz zu. Schnell wie ihre Puckjäger hatten die DEB-Funktionäre als erster BRD-Verband auf die politische Lage reagiert und die DDR-Clubs bereits zur kommenden Saison 1990/91 integriert.
Der wässrige Blick ist nun einer ungetrübten Sicht für die Realität gewichen. „Die erste Bundesliga ist für uns Abenteuer und Chance zugleich“, meint Waschitowitz heute. Nur vier Monate haben die beiden Neulinge Zeit, sich auf Bundesliganiveau zu trimmen - sportlich wie ökonomisch. Denn am 14. September gastiert Top-Favorit Düsseldorfer EG im Ostberliner Sportforum, während es die Thüringer mit dem spielstarken BSC Preußen aus West-Berlin zu tun bekommen.
Bislang fristeten Ost-Berlin und Weißwasser ein recht unbekümmertes, wenngleich skurriles Dasein. Seit die DDR -Sportführung 1970 sämtliche Sportarten in Förderstufen einteilte, mußten die zwei Dynamos Jahr für Jahr in der kleinsten Liga der Welt den Landesmeister unter sich ausmachen: die Konkurrenz aus Rostock, Crimmitschau, Dresden oder vom TSC Berlin fiel dem sportlich-politischen Streichkonzert zum Opfer.
Die verbliebenen Eishockeyspieler entgingen nur knapp der Disqualifikation. „Wir alle wissen, daß Erich Mielke ein Faible für unseren Sport hatte“, nennt der Berliner PR -Dynamo Günter Haake den Grund, weshalb die absolut schnellste Mannschaftsspielart nicht völlig von der Eisfläche verschwand. Mielke hielt den Ligabetrieb aus seiner Stasi-Schatulle als Hobby aufrecht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dieter Waschitowitz: „Wir werden noch bis zum 31. Dezember aus dem Etat des Ministeriums des Inneren bezuschußt.“
Wie hoch dieser Etat derzeit ist, kann der EHC-Präsident „beim besten Willen nicht genau sagen“. Möglichst bald sollen potente Sponsoren die Nabelschnur zum Innenministerium kappen helfen. Vier Wunschkandidaten will der EHC Dynamo Berlin ausfindig machen, die noch vor Ablauf der staatlichen Apanage den Geldbeutel für Mielkes Feierabendvergnügen hinhalten. Der erste Mäzen, eine Kölner Autofirma japanischer Abstammung, stört sich wenig an dem Geist des durchgeknallten Stasi-Chefs. Für ihn bedeutet der EHC Berlin ein erstes Standbein in der zukünftigen Wirtschaftsregion Ostdeutschland.
„Eishockey ist eine dynamische Sportart und paßt daher gut zum Charakter unserer Modelle“, kümmert sich Marketing -Leiter Dietrich Hartmann wenig um das, was war. Politische Vorbehalte müssen in der hart umkämften Branche hinter die Geschäftsbilanzen zurücktreten. „Selbstverständlich bedeutet unser Engagement eine geschäftliche Abmachung“, fügt Hartmann im nächsten Atemzug hinzu. Kasse nur gegen Leistung.
Zur Rehabilitation des EHC und seines spendablen Ersteinsteigers sei hinzugefügt, daß sich die Stasi auf Kufen nie so heimisch fühlte wie in anderen Sektionen des Trägerkomplexes SC Dynamo Berlin. Und dessen Nachfolger, der 1.SC Berlin, von dem sich die Eishockeyabteilung losgesagt hat, fährt gar unter dem „Stern des Südens“ einer einträglichen Zukunft entgegen.
„Aus diesem Grund“, so Dieter Waschitowitz stolz, „sahen wir auch keinen Grund, unseren Vereinsnamen zu ändern. Meine bundesdeutschen Kollegen haben uns in diesem Schritt bestärkt.“ Beim landeseigenen Dynamo-Konkurrenten hat diese Überzeugungsarbeit wenig gefruchtet. Weißwasser firmiert nunmehr unter der umständlichen Bezeichnung „Polizei -Eishockey-Verein“ (PEV). An der sportlichen Herausforderung im ersten gesamtdeutschen Jahr ändert dies freilich nichts. Jedes Team muß 44 mal aufs Eis - öfter als in den letzten drei Jahren der DDR-Miniliga insgesamt.
Jürgen Schulz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen