: Schwadroneure und Gesundbeter
■ Eine TV-Talkshow als Schauplatz für den Offenbarungseid des Sportjournalismus
PRESS-SCHLAG
Nicht ohne Ironie hatte sich Lea Rosh anläßlich ihrer Talkshow am Freitag im dritten Programm der Nordkette in ein schwarz-rot-goldenes Kostüm, schüchtern mit etwas grün versetzt, gewandet: Das Thema der Sendung lautete „Fußball“.
Zugegen waren unter anderem solche Koryphäen der Sportberichterstattung wie Rainer Holzschuh ('Kicker‘), Hans -Josef Justen ('WAZ‘), Jochen Sprentzel (SFB), Heribert Faßbender (WDR), Sabine Töpperwien (ZDF) und Horst Vetten, und sie gaben eine ausgesprochen erschreckende Figur ab. Vernünftige Leute in der Runde wie Rhetorikprofessor Walter Jens, Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachim Friedrichs oder „Die Toten Hosen“ hatten alle Mühe, den Schwadronierern und berufsmäßigen Fußballharmonisten einigermaßen Paroli zu bieten.
Leuten wie Faßbender, der beim WM-Spiel BRD-Holland die miserabelste Fußballreportage der Fernsehgeschichte ablieferte, eine journalistische Katastrophe biblischen Ausmaßes, von Walter Jens völlig zu recht als „übelster Chauvinismus“ charakterisiert, fehlt offenbar jedes Unrechtsbewußtsein. Selbstgefällig, eitel, mimosenhaft zeigte der WDR-Sportchef nicht die Spur von Reue und keilte bei kleinster Kritik gleich wild los.
Doch Faßbender stand nicht allein. Er bekam reiche Unterstützung seiner Kollegen und, wie man nach dieser Sendung sagen muß, Komplizen, die offensichtlich nichts begriffen haben, von dem, was sie tun, und sofort knallrot sehen, wenn der geringste Schatten auf ihren geliebten Fußball geworfen wird. Fünf Jahre nach den Toten vom Heysel -Stadion, wenige Wochen, nachdem ganz Sardinien in Ausnahmezustand versetzt wurde, weil ein paar englische Fans anreisten, propagieren sie eine heile Fußballwelt, wie sie ferner der Realität nicht sein kann. Fußball sei doch nichts als ein Sport, säuseln sie unbekümmert, und wer etwas anderes behaupte, wolle nur „unseren schönen Sport“ kaputtmachen.
Sorgen im Ausland und bei in Deutschland lebenden Ausländern über die Nationalismusexplosion nach dem deutschen WM-Gewinn werden als Hirngespinste abgetan und die ganze Nationalismusdiskussion kurzerhand dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt Schäfer angelastet, der sich in einem Brief über Faßbenders Kommentierung beschwert hatte. Ganz so, als wäre einem der Nationalismus während der WM nicht an jeder deutschen Straßenecke in massivster Form entgegengeschlagen und als hätte nicht wenige Minuten zuvor der Ostberliner Bürgermeister Schwierzina von den Hetzjagden auf Ausländer nach dem WM-Finale und sogar beim Zweitligaspiel Blau-Weiß gegen Schalke berichtet.
Die rassistischen Entgleisungen von Kommentatoren werden verniedlicht, weil man ja angeblich nicht verlangen könne, daß jemand zwei Stunden druckreif rede. Außerdem müßten Reporter unbedingt „Emotionen rüberbringen“, eine unsägliche Forderung, die Hajo Friedrichs dankenswerterweise entschlossen zurückwies. Ganz nebenbei enthüllte Faßbender völlig arglos seine Methode des Kommentierens. Es sind nämlich gar nicht seine Emotionen, die ihn zu dem bekannten heiseren Kriegsgeschrei veranlassen, sondern er verhält sich so, weil er glaubt, daß dies ankomme. Das kalte Schielen auf „Zuspruchsquoten“, eine ungute Mischung aus Opportunismus und Demagogie, ersetzt die Gefühlsbetontheit der vielzitierten südamerikanischen Reporter oder solcher wenigstens ehrlich erregter Leute wie Zimmermann, Rudi Michel oder Dieter Kürten. Völlig zu Recht sprach Horst Vetten in dieser Hinsicht von „Zynismus“.
Vollends in Rage geriet die Runde, als Lea Rosh den kollektiven Kirchgang der Nationalmannschaft mit Waffensegnungen verglich, und Vetten am Glauben der Spieler zweifelte. Da spuckten sie Gift und Galle, die wackeren Streiter für den edlen, unschuldigen Fußballsport und für die religiösen Gefühle der Fußballer, und schauten ganz ungehalten, als Trini Trimpop von den „Toten Hosen“ enthüllte, die Spieler wären nur in die Kirche gegangen, weil es dort immer so schon kühl sei, und Walter Jens anfügte, daß schon Sepp Herberger Katholiken bevorzugt habe, weil die autoritätsgläubiger seien.
Auch die einzige Frau der Runde, Sabine Töpperwien, konnte wenig Erhellendes beitragen, fungierte als artige Komplizin der Gesundbeter und schaffte es sogar, einen direkten Bogen von Schalke 04 zur RAF zu schlagen. Frauen interessierten sich genauso wie Männer für den Fußball, verkündete sie ungeachtet des spöttisch-ungläubigen Blickes von Lea Rosh und fügte hinzu, daß Frauen genauso emotional wie Männer sein können: „Das sieht man ja daran, daß es so viele Terroristinnen gibt.“
Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen