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„Schonender Umgang“ statt Politik

■ Neues Lesebuch des Berliner Gesundheitsladens zu Arbeit und Gesundheit

West-Berlin. „'Bild‘ knüpft an die massenhaften alltäglichen Erfahrungen und die damit häufig verbundenen Gefühle der Ohnmacht an und greift zugleich die tausendfachen Wunschträume und kleinen Fluchten auf“ - so analysieren Guthke und Göbel im Lesebuch zu Arbeit und Gesundheit, das von Arbeitnehmern meistkonsumierte Medium, die 'Bild'-Zeitung. Zumindest zu Beginn scheint ein Springerfunke - im positiven Sinne - übergesprungen zu sein: Anhand von Alltagsgeschichten bieten sie der LeserIn einen sanften Einstieg ins Thema an. Egal ob Adele S. von ihrer Schichtarbeit und daraus resultierendem Tablettenmißbrauch, Konrad H. über Alkoholprobleme am Arbeitsplatz oder B. Ruder über die Massenabfertigung namens „Kur“ berichtet: Ähnliches erfahren hat sicher jede und jeder. Das Gefühl: „Irgendwie kommt mir das alles ziemlich bekannt vor“, zieht sich leider auch durch den Rest des Buches.

Hat die LeserIn ausgiebig erfahren, wie viele Varianten es gibt, seine Gesundheit bei der Arbeit aufs Spiel zu setzen, bleiben Guthke und Göbel auch im Schlußkapitel „Was wir aus alledem gelernt haben“ bei der reinen Beschreibung. Ihre These: Das Gesundheitsverhalten am Arbeitsplatz „ist in erster Linie ein kulturelles Phänomen“, und „Rücksicht auf Gesundheit rangiert in der Arbeitskultur nun einmal so ziemlich an letzter Stelle“. So recht sie damit haben praktische Konsequenzen sehen die Autoren nur bedingt in der Forderung nach politischen Konsequenzen. Sie plädieren statt dessen für individuelle Verhaltensänderungen, für „schonenden Umgang mit sich und anderen“. Somit schwimmen auch sie im von der Wirtschaft vorangetriebenen Individualisierungsstrom, ohne diesen zu problematisieren. Das Buch greift Alltagserfahrungen auf und ist somit als reines Lesebuch ideal - aber über die Erzählebene kommt es nicht hinaus.

maz

„Man darf nicht wehleidig sein . Lesebuch zu Arbeit und Gesundheit“, Czock/Göbel/Guthke, Berliner Gesundheitsladen, 160 Seiten, 20 DM.

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