piwik no script img

Lappland ist Sapmi, die Lappen sind Sami

■ Seit Jahrhunderten sind die Ureinwohner von Lappland, das sie selbst Sapmi nennen, einem langsamen Kolonisationsprozeß unterworfen / Ihr Gebiet wurde zwischen Norwegen, Schweden und dem zaristischen Rußland aufgeteilt / Schwedische Sami fordern jetzt eigenes Parlament wie in Norwegen und Finnland

„Die schwedische Samipolitik ist ein häßliches und beinahe schon übersteigertes Beispiel der öffentlichen Lüge“, stellte Nikolaus Stenberg, der Vorsitzende des Reichsverbandes der Schwedischen Sami (SSR) anläßlich des diesjährigen Delegiertentreffens fest. Hauptthema der Versammlung waren dieses Mal Fragen der ethnischen Selbstbestimmung der schwedischen Sami und die Einrichtung eines samischen Parlamentes.

Dem SSR gehören neben 44 rentierzüchtenden auch 19 Gruppen an, die die Renwirtschaft bereits aufgegeben haben. Jede Gruppe schickt alljährlich ein bis zwei Delegierte auf die Jahreshauptversammlung, die dieses Jahr vom 12. bis 15.Juni in Arjeplog stattfand. Arjeplog ist ein zirka 2.000-Seelen -Nest, südlich des Polarkreises inmitten der schwedischen Tundra. Der Ort liegt im Herzen des schwedischen Teils von Sapmi, wie die Sami Lappland nennen. Dieses Gebiet ist in etwa so groß wie die Bundesrepublik und mit durchschnittlich vier EinwohnerInnen pro Quadratkilometern eine der am dünnsten besiedelten Regionen Europas. Heute lebt dort jedoch nur noch ein Teil der 20.000 schwedischen Sami. Davon finden zirka zehn Prozent ihr Auskommen nach wie vor in der Rentierwirtschaft - die übrigen waren zum Teil gezwungen, aus wirtschaftlichen Gründen in die Städte Südschwedens abzuwandern.

Auch in diesem Jahr war die Beteiligung an der Jahreshauptversammlung groß. Am frühen Morgen versammelten sich nicht nur die 95 Delegierten, sondern auch gut 200 samische ZuhörerInnen, die teilweise mehr als 500 Kilometer Reiseweg hinter sich hatten, alte und junge Leute, von der Großmutter bis zum Säugling. Die Versammlung hat nicht nur politische Bedeutung, sondern ist auch ein willkommenes soziales Ereignis. Wann kann man schon so viele Freunde und Bekannte auf einmal treffen?

Aber es fanden sich auch schwedische Politiker ein. Die meisten Parteien schickten Reichstagsabgeordnete. Verschiedene Regionalpolitiker und der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister Schwedens nahmen die Tagung zum Anlaß, sich mit der Situation der Sami zu beschäftigen.

Ein Großteil der TeilnehmerInnen demonstrierte anläßlich des Treffens seine ethnische Zugehörigkeit durch traditionelle Kleidung, den dunkelblauen, mit rot-gelben Filzstreifen eingefaßten Wollkolt. Ein Zeichen für den immer stärker werdenden Willen zur ethnischen Selbstbestimmung. Jahrzehntelang versuchten die schwedischen Sami, sich zu assimilieren und verleugneten ihre Identität. Heute hingegen haben sie ihr Selbstbewußtsein wiedergewonnen. Gegenstand der diesjährigen Tagung war die Einforderung eines samischen Parlamentes, wie es in den Nachbarstaaten Norwegen und Finnland schon besteht.

Obwohl bereits 1989 ein Gutachten einer schwedischen Regierungskommission vorliegt, das die Notwendigkeit eines Samiparlamentes betont, hat die sozialdemokratische Regierung in Stockholm noch keine Gesetzesinitiative ergriffen. Auf eine entsprechende Anfrage der schwedischen „Linkspartei“ hatte die Justizministerin Laila Freivalds nur eine ausweichende Antwort parat: Sie wollte sich nicht auf einen endgültigen Termin für die Einrichtung eines Samiparlamentes festlegen und stellte das „ob überhaupt“ sogar wieder in Frage. Dabei geht es nicht etwa um das Zugeständnis einer weitgehenden Autonomie zugunsten der schwedischen Sami: Das Parlament soll lediglich mit beratender Stimme an Entscheidungen der schwedischen Verwaltung mitwirken. Eine Lösung, die den Sami nicht weit genug und der schwedischen Regierung schon zu weit geht.

Dennoch beharren die Sami auf den ihnen zustehenden Rechten, die sie aus ihrem Urbevölkerungsstatus herleiten. In Arjeplog stimmten alle samischen Redner in der Bedeutung eines eigenen samischen Parlamentes überein. Wiederholt wurde die Situation von Sapmi mit der der baltischen Republiken verglichen. Ein Samiparlament sei der erste Schritt in Richtung Autonomie, sagte ein Redner. Er sprach das aus, wovon andere Sami träumen: Man wolle ein geeintes Sapmi von Norwegen über Schweden und Finnland bis zur Sowjetunion. Auch wenn das jetzt von der schwedischen Kommission vorgeschlagene Parlament nur administrative und beratende Funktion hätte, sei es doch ein Beginn und eine Chance. Nur so könnten sie als Volk überleben. Durch ein Parlament für alle Sami könne auch die unglückliche Spaltung zwischen den Rentierzüchtern und den anderen Sami überwunden werden.

Der schwedische Landwirtschaftsminister, Mats Hellström, ging auf diese Ideen in seiner Rede erst gar nicht ein. Er versuchte dagegen, die Politik der Regierung zu verteidigen. Seine Begründung, für die Verzögerung bei der Einrichtung eines samischen Parlamentes seien verschiedene Gesetze verantwortlich, über die man in Regierungskreisen noch nicht einig sei, erntete aber wenig Verständnis. Die Linie der Regierung wird von den Sami als Hinhaltetaktik bewertet, und so waren trotz Zeichen ethnischen Selbstbewußtseins bei den Rednern auch immer wieder Untertöne von Resignation und Bitterkeit zu vernehmen. Nikolaus Stenberg äußerte sogar den Verdacht, die schwedische Regierung betreibe eine Verwirrungstaktik.

Im Rahmen der Tagung wurde eine Resolution verabschiedet, in der die schwedische Regierung deshalb auch ausdrücklich aufgefordert wird, endlich ihren Verpflichtungen nachzukommen. Sie soll dem Reichstag noch in diesem Jahr ein Gesetzespaket auf der Grundlage der Vorschläge der Kommission zur Vorabschiedung vorlegen. Doch die Sami wollen nicht länger warten: Sie haben bereits im März in Eigeninitiative den vorläufigen samischen Nationalrat gegründet. Dieser hat die Aufgabe, ein Forum für alle samischen Interessengruppen, vom Reichsverband bis zur Jugendorganisation, zu sein.

Der Nationalrat soll bis zur endgültigen Einrichtung eines Samiparlamentes den samischen Willen artikulieren und vertreten. Denn die Sami gehen davon aus, daß ihr Fortbestand als Volk nicht zuletzt von der Bewahrung ihrer kulturellen Eigenarten abhängt. Daher legen sie auch besonderen Wert auf den Erhalt der eigenen Sprache. Im Gegensatz zum Schwedischen, das eine germanische Sprache ist, gehört das Samische der finnisch-ugrischen Sprachfamilie an. Ihre Sprache ist für die Sami ein Mittel der Abgrenzung von der schwedischen Gesellschaft und wird heute wieder vermehrt gesprochen.

Bezeichnend für die Hartnäckigkeit der Sami formulierte der Rentierzüchter Ole Pitsa, sie seien ja schon oft totgesagt worden, zuletzt nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl, durch das weite Teile Sapmis radioaktiv verseucht wurden. „Aber wir Sami sind zäh und geben nicht so schnell auf.“

In diesem Tenor beendete auch Nikolaus Stenberg seine Rede. Er hoffe, daß sich die Delegiertenversammlung vielleicht schon im Jahre 2000 in einem noch zu bauenden Haus der Sami in Kiruna treffen könnte. Seine Vision: „Die Blicke der westlichen Welt werden im Herbst 2000 auf Sapmi gerichtet sein, wo sich dann das gemeinsame Parlament der Sami aller nordischen Staaten versammeln wird. Die Sami haben dann ein bedeutendes Selbstbestimmungsrecht, nicht nur in kulturellen, sondern auch in Verwaltungsfragen erhalten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen