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Auf dem Trecker in die Hauptstadt

■ 4.000 Landwirte, Förster und Gärtner aus der DDR demonstrierten gestern vor dem Reichstagsgebäude in West-Berlin. Heute wollen in Ost-Berlin Zehntausende von Bauern ihre Forderungen auf den Alexanderplatz tragen.

DDR-Bauern protestieren gegen die Krise der Landwirtschaft

Ein merkwürdiges Bild, nichts paßt zusammen: Mehrere Dutzend Mähdrescher, Düngemaschinen und ein Güllewagen stehen brav in Reih und Glied vor der preußischen Wucht des Reichstagsgebäudes. Drumherum Holzstämme: Hier haben sich die schwerbeladenen Laster der staatlichen Forstbetriebe der DDR gruppiert. Den vorderen Rand des weitläufigen Platzes der Republik beschließen die Verkaufsbuden mit Brötchen und Broilern, Blutwurst und Blumen - LPGs und Verarbeitungsbetriebe bieten hier ihre Produkte an. Man weiß nicht, wer von den vielleicht viertausend Menschen hier demonstriert und wer hier nur billig einkauft.

Aber warum nicht, irgendwie paßt sie eben doch sehr gut in die verzweifelte ökonomische Situation der DDR -Beschäftigten, diese neue Form von Verkaufsdemo. Dazu aufgerufen haben die Vorstände der (West-) Gewerkschaft Gartenbau-, Land- und Fortwirtschaft (GGLF) und ihrer Ost -Schwester, der Gewerkschaft Land-, Nahrungsgüter und Forst (GLNF).

„Rettet den Regenwald - nutzt unser Holz!“, verkündet ein Plakat an einem der Holzlaster. Ein ökologischer Wink der grünuniformierten Förster und Forstarbeiter mit dem Baumstamm. 11.000 Arbeitsplätze in der staatlichen Forstwirtschaft Brandenburgs und ihren angeschlossenen Fertigungsbetrieben sind in Gefahr, weil trotz um 50 Prozent gefallener Preise kaum jemand mehr Holz und Holzprodukte kauft. Baumstämme sind natürlich auch hier schlecht in die Einkaufstasche zu packen. Dafür gehen die Kartoffeln, fünf Pfund für 1,20 DM, oder die Eier, zwölf Stück für zwei DM, umso besser weg. „Ein Schleuderpreis“, weiß der Verkäufer, „damit decken wir nicht mal unsere Produktionskosten.“ Auch ehemalige Kombinate wie die SBV Fleisch Berlin oder der Bäckereibetrieb Cityback verkaufen ihre Produkte hier weit unter Wert. „Da greift eins ins andere“, sagt ein Mitarbeiter, „zuerst haben uns die Handelsketten boykottiert, jetzt können viele Kunden nicht mehr zahlen“.

Ökonomisch paßt eben nichts mehr zusammen, selbst die produktivsten Betriebe von einst stehen durch die überstürzte Währungsunion vor dem Ruin. „Einst Musterbetrieb, heute pleite“, beklagen sich die Mitarbeiter und Champignonzüchter des Volkseigenen Guts Eisleben auf einem Plakat. Und ihr Leiter weiß wie so viele andere nicht, „woher wir die Septemberlöhne bezahlen sollen“, wie er auf der Kundgebung berichtet.

Aber ideologisch paßt auch nichts. Man wollte ja den schnellen Anschluß, also kann man jetzt schlecht vom Leder ziehen. Für den Kundgebungsredner Günter Lappas, Vorsitzender der West-Gewerkschaft GGLF, ist halt der DDR -Landwirtschaftsminister Pollack samt seinem Regierungschef schuld: „Ich möchte de Maiziere zurufen: Packen Sie Ihre Koffer, gehen Sie in die Wüste, da können Sie weniger kaputtmachen!“ Seine Forderungen bleiben recht allgemein: Es müßten „Grundlagen für gleichwertige Lebensbedingungen“ in Ost und West geschaffen werden. Da wird die Vorsitzende der östlichen Schwestergewerkschaft, Marianne Sandig, wenigstens in einem Punkt konkreter: „Es besteht der Verdacht, daß der DDR-Regierung und der Bundesregierung gar nicht daran gelegen ist, unsere Betriebe zu erhalten“.

Mit einer Demo auf dem Ostberliner Alexanderplatz sollen die Bauernproteste heute weiter gehen.

Ute Scheub

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