: Schneller kaufen in Hellersdorf
■ Erster Investitionswettbewerb in Ost-Berlin ausgerichtet / Einkaufszentrum in Hellersdorf mit 7.000 Quadratmeter Verkaufsfläche geplant / „Wirres Zuschlagen“ von Aufträgen soll unterbunden werden
Hellersdorf. Das Szenario ist bekannt: Aus dem dunkelblauen Mercedes 500 steigt ein Mittfünfziger mit dicker Zigarre, schnippt die Asche auf den märkischen Boden und kauft auf, was ihm an sozialistischer Überlassenschaft in die Quere kommt. So soll es - zumindest in Ost-Berlin nicht mehr kommen. „Investorenauswahlverfahren“ heißt das bürokratische Zauberwort dagegen. Das Ergebnis des ersten solcherart in Ost-Berlin ausgelobten Bau-Wettbewerbs stellten gestern Baustadtrat Kraft und Hellersdorfs Bezirksbürgermeisterin Marlitt Köhnke (beide SPD) vor.
Die Versorgung der Hellersdorfer Bevölkerung mit Dienstleistungen aller Art ist katastrophal. Nicht einmal ein eigenes Rathaus besitzt die Neubausiedlung, „der einzige Schuster bei uns arbeitet in einer Mietwohnung“, berichtet Marlitt Köhnke. Nun ist ein erster großer Einkaufskomplex am U-Bahnhof Albert-Norden-Straße geplant. 7.000 qm Einkaufsfläche sollen hier bis Herbst '92 entstehen, sechs West-Bewerber hatten bis Mitte Juli ihre Bau- und Finanzierungsvorschläge abgegeben.
Entscheidungskriterien waren nach Aussage von Stadtrat Kraft neben Bonität des Bewerbers und Kosten des Projekts die „angemessene Berücksichtigung von Bürgerwünschen“ sowie die Beteiligung von Ost-Baufirmen. Den goldenen Schnitt schaffte offensichtlich die Westberliner KAP HAG, ihr Vorschlag eines weitgestreckten zweistöckigen Flachbaukomplexes für 27 Millionen DM (siehe Foto) erhielt den Zuschlag der Auswahlkommission. Diese war übrigens mit etlichen „ausgeliehenen“ Mitarbeitern der West-Bauverwaltung verstärkt worden, wie ja auch das ganze Verfahren zu den Routineabwicklungen westdeutscher Stadtplaner zählt.
Der Glas- und Betonkomplex, der den Hellersdorfern aus der Einkaufsmisere helfen soll, wird in verschiedene Bereiche unterteilt. So sollen in einem Gebäudekomplex etliche „kleinteilige Läden, etwa Boutiquen“ entstehen, daneben ist aber auch ein großer Lebensmittelmarkt und ein „Non-food -Markt“ geplant. Das Ganze nennt sich denn auch hübsch metropolitan „Südwest-Passage“. Die späteren Mietpreise pro Quadratmeter sollen sich auf 22 DM belaufen, „damit auch DDR -Anbieter eine Chance zur Existenzgründung erhalten“, so einer von Krafts West-Beratern, Hanno Klein. Doch auch schon beim Bau des Konsumtempels sollen Ost-Firmen einbezogen werden: Die Ingenieurhochbau Berlin GmbH, vormals VEB, ist fest als Bauaufträger vorgesehen. Für April nächsten Jahres ist der Baubeginn vorgesehen.
Es zeige sich überdies deutlich der Vorteil des ordentlichen Planungsverfahrens gegenüber „diesem wirren Zuschlagen andernorts im Land“ (Kraft). Dem Bezirk Hellersdorf hätte „die architektonisch schönere Lösung“ der zweitplazierten ITAG Berlin nämlich besser gefallen. Nur konnte die „kein Eigenkapital einbringen und die späteren Mieten hätten bei 50 DM pro Quadratmeter gelegen“, so Marlitt Köhnke. Nun werden der KAPHAG weitergehende Auflagen gemacht: Der Abstand der Ladenmeile zum angrenzenden Wohnhochhaus muß vergrößert werden, das „vorhandene Grün soll stärker in der Planung berücksichtigt werden“, und auch an eine Tiefgarage für luftverpestende Einkäufer soll gedacht werden. Die Auflagen sind auch Resultat von Bürgereinsprüchen, die - vorbildlich, doch selten eingehalten - das Bezirksamt von sich aus befragte. Wer genau in der „Südwest-Passage“ einziehen wird, steht noch nicht fest. Eine Neuigkeit erfuhr man jedoch gestern aus dem Mund von Bürgermeisterin Köhnke: Anstelle der West -Handelsketten Massa oder Rewe soll demnächst Aldi in Hellersdorf ein Geschäft eröffnen. Die Weisung käme von Schwierzina persönlich, der „niedrigeren Preise“ wegen. Verkauft würde demnächst, windig, windig, in einem Großzelt!
Joachim Schurig
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