: Stehaufmännchen SPD weiß nicht, was es will
■ Uneinigkeit über den Beitrittstermin in den Reihen der DDR-SPD / Hatte sich die Partei in Ost und West bis gestern noch lauthals für einen schnellstmöglichen Beitritt stark gemacht, kommt nun wieder der 14. Oktober ins Gespräch
Berlin (taz/dpa/afp) - Tritt die DDR nun doch am 14. Oktober der BRD bei? Nach den widersprüchlichen Verlautbarungen vom gestrigen Tage kann die Frage nur mit einem entschiedenen Jein beantwortet werden. DDR -Ministerpräsident Lothar de Maiziere überraschte gestern morgen die Öffentlichkeit mit der Mitteilung, er habe sich mit den Vorsitzenden der Volkskammerfraktionen darauf geeinigt, das DDR-Parlament solle am symbolträchtigen 9.Oktober (an diesem Tag wurde vor einem Jahr die „friedliche Revolution“ eingeläutet) in einer Sondersitzung den Beitritt der DDR zur BRD mit Wirkung zum 14. Oktober beschließen. Die Beitrittserklärung, so de Maiziere, solle ein „Maß an Würde“ haben. Der Beschluß soll heute in der Volkskammersitzung bestätigt werden. Für den 2. Dezember als Beitrittstermin plädierten weiterhin die Vertreter von PDS und Bündnis 90. Der Ministerpräsident zeigte sich sehr zufrieden darüber, daß er sich nach nur eineinhalbstündiger Diskussion zumindest mit den Fraktionschefs auf dieses Datum hatte einigen können. Ob seine Freude lange währen wird, ist fraglich. Schließlich stehen die Vorsitzenden der Volkskammerfraktionen nun vor der Aufgabe, ihre Leute davon zu überzeugen, daß die Entscheidung auf höchster Chefebene die richtige ist. Zumindest SPD-Fraktionsführer Richard Schröder mußte sich gestern für die anschließende Fraktionssitzung einen schweren Stand ausrechnen. Hatte sich doch die SPD in Ost und West bis gestern noch lauthals für einen schnellstmöglichen Beitritt stark gemacht, am liebsten gleich morgen, spätestens aber zum 15. September, nach Abschluß der Vier-plus-zwei- Verhandlungen. Auf diesem Stand der Dinge befand sich gestern am frühen Nachmittag auch noch die SPD-Volkskammerfraktion. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Konstanze Krehl, zeigte sich durch die Nachricht aus der Chefetage, übermittelt von der taz, „sehr verwundert“, tippte zunächst auf eine Falschmeldung und ging vorsichtig davon aus, daß die SPD trotzdem am 15.September als Beitrittstermin festhalten werde. Auch der Vorsitzende der DDR-SPD, Wolfgang Thierse, meldete etwa gleichzeitig Vorbehalte gegen den 14. Oktober an. Angesichts der riesigen Probleme halte er diesen Termin nicht für realistisch, sagte Thierse gegenüber der Deutschen Welle. DDR-SPD -Vorstandssprecher Jürgen Itzfeld bezweifelte gar, „daß Ministerpräsident Lothar de Maiziere mit seinem Termin noch auf dem neuesten Stand ist“. Itzfeld sah zwar durchaus Chancen, daß sich die DDR-Parteien mit dem 14. Oktober abfinden werden, befürchtete jedoch großen Druck aus Bonn für einen früheren Termin. Seine Partei werde sich nicht länger an der Termindiskussion zur Vereinigung beteiligen, die ständig „von der CDU aufgezwungen“ werde, so Itzfeld. Im Vordergrund müsse jetzt „die Sachdiskussion stehen, um die sozialen und ökonomischen Probleme in den Griff zu bekommen“. Die SPD-Volkskammerabgeordnete Christine Lucyga hat inzwischen ihren Antrag auf sofortigen Beitritt der DDR zur BRD aufrechterhalten.
„Einhelligkeit“ gab es zwischen de Maiziere und den Fraktionschefs auch darüber gegeben, daß ein Einigungsvertrag einem Überleitungsgesetz vorzuziehen ist. Der stellvertretende Parteivorsitzende der Ost-SPD, Karl -August Kamilli, und die Bundesgeschäftsführerin der West -SPD, Anke Fuchs, halten ein Überleitungsgesetz für besser. Der Vorteil der SozialdemokratInnen besteht darin, daß ein solches Gesetz in wesentlichen Punkten der Zustimmung des Bundesrates bedarf, in dem die SPD über die Mehrheit verfügt. Für einen Kompromiß beim Einigungsvertrag hat sich der SPD-Spitzenkandidat für Brandenburg, Manfred Stolpe, ausgesprochen: „Das wäre ein würdigerer Abgang für die demokratisch gewählte Volkskammer als ein Überleitungsgesetz“.
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