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Zweimal Ansichten einer Stadt: L.A.

■ Fotografien von William Reagh und Yves Lieou im Amerikahaus

Los Angeles hat kein Zentrum, sondern verschiedene Kristallisationspunkte; einer davon ist Downtown L.A.. Hier hat William Reagh fotografiert und eine Sammlung von 60 Bildern mit dem Allerweltstitel Gesichter einer Stadt zusammengestellt. Wer Gesichter zeigt, suggeriert die Möglichkeit, mehr zu zeigen als Oberflächenstrukturen. Dennoch wird in dieser Ausstellung nichts über das öffentlich verdeckte Abhängigkeitsverhältnis von Ökonomie, Politik und Image gezeigt. Die Fotos von William Reagh machen nichts über die Bedingungen und Nutznießer des Wandels in Downtwon L.A. sichtbar - wie es bei gleichem Thema wohl Hans Haacke gemacht hätte und für einen Stadtteil in New York auch getan hat. William Reagh zeigt Stadtansichten und verfährt nach dem bewährten Vorher -nachher-Schema. Er hatte vor über 30 Jahren Downtown fotografiert. Jetzt stellte er noch einmal an denselben Stellen seine Kamera auf. Die Differenz ist der Oberflächenwandel - erwartungsgemäß radikal.

Verwinkelte Einzelhäuser mit Türmchen und Balkonen wichen ausladenden Wohnquadern. Wohnviertel wurden Geschäftsviertel. Die schummrige Tristesse von Hinterhöfen mit Ecken, Nischen, Schlupfwinkeln ist durch die kühle Klarheit harter Kanten und übersichtlicher Formen ersetzt worden. Wo zuvor die schmalen Streifen von Gassen und Straßen waren, ziehen sich Freeways in weiten Bögen von einem Bildrand zum anderen. Geblieben sind nur die Schrotthalden der Autos. Diesen Fotos sind die 30 Jahre Differenz nicht anzusehen. Und auch die Stadtstreicher haben noch das gleiche zerfurchte Gesicht. Sie zeigt Reagh als einzige Menschen in Nahaufnahme; bei fast allen anderen Fotos bevorzugt er den Fernblick: das Panorama als Gesicht der Stadt.

Die einzelnen Gebäude sind nicht aufeinander bezogen. Die wuchtigen Spiegelglasröhren des Bonaventure Hotels neben dem schlanken Kubus der Union Bank, der neben drei dreieckigen Marmortürmen einer Versicherungsanstalt steht. Es gibt keine zentral korrespondierenden Bauten - wie etwa in Paris; die Gebäude stehen zusammen wie ein Ideenwettbewerb konkurrierender Architektenbüros: sichtbarer Ausdruck dafür, daß alles geht, wenn es zu finanzieren ist. Die Kamera nimmt fast immer eine Straße ins Blickfeld. Das ist in L.A. unvermeidlich, stärkt aber bei fast 60 Fotos den Eindruck, daß dieses Hochhauskonglomerat unzugänglich ist - ein komplexes, aber geschlossenes Gebilde, an dem Autos vorbeifahren, ohne dort je anzukommen.

Die Stadt ist von den Straßen her organisiert, autogerecht

-und ist deshalb mit dem Auto zugänglicher als die Hardenbergstraße, wo die Ausstellung gezeigt wird. Denn tatsächlich sind die Gebäude nach mehreren Seiten offen was die Fotos verbergen - und im Innern verwinkelt, begrünt, lichtzugewandt. Aber das Innere der Gebäude ist gleichzeitig auch wieder ein Außen. Die Lichthöfe, Atrien, Gehwege öffnen sich zu weiteren Innenräumen aus Stahl, Beton, Glas und peinlich gepflegten Grünflächen, die daran erinnern, daß es so etwas wie Natur noch gibt. Ein Foto zeigt den Blick aus einem rundum verglasten Fahrstuhl des Bonaventure Hotels hinaus in die Innenstadt; er ähnelt dem umgekehrten Blick hinein in die labyrinthische Anordnung von Cafes, Boutiquen, Gehwegen und Ausblicken.

William Reagh setzt den Akzent seiner Ausstellung auf Diskontinuität. Die stereotypischen Abbilder fassen den radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Sie illustrieren die Revolution der Stadtarchitektur. Reagh dokumentiert - so objektiv wie mit der Kamera möglich. Subjektivität zeigt sich allein in der Auswahl der Fotos; plötzlich taucht ein Bild, fremd wie aus einer anderen Welt, neben den Stadtansichten auf: ein riesenhaft ausladender Baum mit wulstigen Wurzeln, Hunderte von Jahren alt. Das ist der Kontrapunkt und verrät Reaghs romantisches Denken. Aufgehobene Zeit in einer sichtbar makellos zubetonierten Umgebung.

Welche Bilder sich von der Stadt einprägen, unterliegt weder der Entscheidung noch dem Willen. Oft sind die unmerklichen Blicke die wirksamsten. Yves Lieou versucht in einer Fotoserie „jene Bilder, die in unser Unterbewußtsein eingegangen sind, wo Realität sich mit Tagträumen mischt“, aufzufächern. Dieser Absichtserklärung sollen 30 Fotos entsprechen. Themagemäß fotografiert er subjektiv und lustbetont. Werbewände hoch über den Straßen, in die Ampeln mit Rotlicht hineinragen; Neonröhren, verfremdete Fassaden, Decollagen, Wandmalereien, Fensterreihen in Türkis und Blau. Sein Blick sucht das unscheinbar Besondere. So ergeben sich Augenblicke des Fotografen Yves Lieou, der offensichtlich Spaß am Fotografieren hat und seine Lust mit der Presseerklärung kostümiert, er mache Bilder, „wo die Routine sich selbst in Frage stellt“, „Bilder des Unbewußten“.

Wundersamerweise sind all diese Bilder in sonnigen Gegenden geknipst und geben sofort den Gegenstand zu erkennen. Kein einziges Foto bietet einen Widerstand; dafür sind sie hübsch und genügen flüchtigen Blicken. Lieou bearbeitet die Fotos nicht. Es gab sie in den Farben und dem gebräuchlichen Format in die Ausstellung, wie sie Fotofachgeschäfte ihren Kunden im Schnellverfahren anbieten. Er trainierte seine Wahrnehmung auf das, was er für das Besondere und Wirksame des Alltags hält. Trifft er es an, reißt er die Kamera hoch. Entsprechend pitoresk sind seine Fotos.

Daß er an der Entwicklung von Verfahren arbeitet, die optisch den Mechanismen des Unterbewußtseins entsprechen, ist leider auch nicht im Ansatz erkennbar. Das ist schade. Astrid Klein, Marie Jo Lafontaine, Chris Marker haben auf je eigene Weise einen Standard gesetzt, wie jenseits des Beliebigen über die Bilder in unseren Köpfen nachzudenken sei. Wäre es anders, könnte jeder Fotoamateur seine Impressionen auf Wanderausstellungen schicken. Dennoch: Die Konzeption der Ausstellung, neben den dokumentarischen Stadtansichten von Downtown L.A. die Bilderflut in den Köpfen der Bewohner aufzufächern, ist unbedingt weiterzuentwickeln.

Peter Herbstreuth

William Reagh: Gesichter einer Stadt; Yves Lieou: Die anonyme Stadt. Im Amerikahaus, Hardenbergstraße 22 -24, Berlin 12. Mo. bis Fr. von 11 bis 17 Uhr 30, bis 31. August.

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