: Rotes Rathaus streitet um Übernahme
■ Nach der ÖTV-Demo: Was wird aus dem öffentlichen Dienst in Ost-Berlin? / Innenstadtrat Krüger setzt auf Sicherung der Arbeitsplätze / Bündnis 90 für wirtschafts- und sozialpolitischen Runden Tisch / Nachqualifizierungen nötig
Ost-Berlin. Die ungewisse Zukunft des öffentlichen Dienstes in Ost-Berlin treibt nicht nur die Menschen auf die Straße, sondern erhitzte gestern auch die Gemüter in der dortigen Stadtverordnetenversammlung. In der ersten Sitzung nach der stark verkürzten Sommerpause stellte die PDS eine Anfrage an den Magistrat, was er denn zu tun gedenke, um die Arbeitsplätze der etwa 72.000 MitarbeiterInnen beim Magistrat und in den Bezirken zu sichern. Der zuständige Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) bekräftigte seine auch gegenüber der taz geäußerte Haltung, soviele Mitarbeiter wie möglich in die künftige Gesamtberliner Verwaltung hinüberzuretten. Wie berichtet, stieß diese Haltung bei den Westberliner Senatoren Meisner und Pätzold auf Ablehnung. Krüger, der auch offizieller Vertreter für Ost-Berlin in den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag ist, läßt sich von der Kritik nicht beirren. „Es darf keine Ausgrenzungspolitik oder Kahlschlagsanierung gegenüber dem Ostberliner öffentlichen Dienst geben“, so Krüger während der Debatte. Er sieht als dringlichste Aufgabe die Sicherung der Arbeitsplätze - und weniger eine deutliche Lohnerhöhung, wie sie die ÖTV fordert. Krüger geht damit auf Konfrontationskurs nicht nur zum Westberliner Senat, sondern auch zur ÖTV, die diese Forderung bewußt nicht an die erste Stelle gesetzt hat.
Ein großes Problem besteht aber auch für Krüger bei der Zusammenführung der Verwaltungen: So sind die Inhaber von Leitungsfunktionen nicht nur auf ihre politische Vergangenheit zu überprüfen. Und: Es existiert ein großes Qualifizierungsgefälle zwischen Ost und West. Chancen auf Übernahme hätten deshalb nur MitarbeiterInnen, die bereit sind, sich nachqualifizieren zu lassen.
Wie Krügers Kollege Zippel, Stadtrat für Gesundheit, vor der Versammlung ausführte, hat das Thema der gemeinsamen Verwaltung auch den „Magi-Senat“ in seiner Dienstagssitzung außerhalb der Tagesordnung beschäftigt. Zwischen den Innenverwaltungen aus beiden Teilen der Stadt soll jetzt ein Stellenplan für die Gesamtberliner Verwaltung erarbeitet werden. Anfang Januar 1991, so Oberbürgermeister Tino Schwierzina, würden die Verwaltungen zusammengeführt.
Auch die Gruppen der Opposition in der SVV reagierten gestern auf das brisante Thema: Die Fraktion von Bündnis 90/Grüne/UFV plädierte in einem Antrag für die Bildung eines wirtschafts- und sozialpolitischen Runden Tisches für Gesamt -Berlin. In eine ähnliche Richtung war bereits der Vorschlag von Krüger zu einer konzertierten Aktion gegangen. In dem Aufruf heißt es: „Die reale Situation nach der Währungsunion ist von steigender Arbeitslosigkeit, Zahlungsunfähigkeit der Betriebe, erheblichen Preissteigerungen und Lohneinbußen gekennzeichnet... In dieser dramatischen Situation ist es gefährlich, wenn Gruppeninteressen sich gegenüber dem Gemeinwohl durchsetzen.“ Die politischen Institutionen seien dem Prozeß nicht gewachsen, deshalb sollten Gewerkschaften, Arbeitslosenverband, Unternehmerverbände, Handwerker und Gewerbetreibende sich in der Tradition des Herbstes '89 an einen Tisch setzen und Lösungen suchen. Damit soll eine weitere Verschärfung der sozialen Konflikte verhindert werden.
Kd
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