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Ufos der Subjektivität

■ Kein Abflug, sondern Lernstrecke: Skulpturen im Georgengarten von Hannover

Von Ulf Erdmann Ziegler

Sie sind wieder gelandet, diesmal in Hannover: die Skulpturen. Irgendwer hat sie gewollt, sonst wären sie nicht gekommen. Als man sie sah, hat man Angst bekommen und sie bekämpft. Wenn sie dann zurückfliegen, in die Lagerhallen und Ateliers, werden Bürgertränen geweint. Man hat sie doch liebgewonnen, diese fremden Tiere. Oder Maschinen. Wer weiß.

Ins Museum muß man gehen, die großen Plastiken aber kommen zu den Leuten. Das ist kein ungünstiger Umstand, sondern gehört zu ihrem Wesen. Eine Plastik ist immer ein Mittel der Repräsentation, ob Arno Breker oder Richard Serra. In Epochen oder Phasen, in denen Plastiken wichtig oder häufig werden, in denen sie junge Künstler anziehen und die Bilder an den Rand drängen, werden kollektive Phantasien umbrochen, wird Konsens synthetisiert oder erzwungen.

Lothar Romain, der „künstlerische Leiter“ des Hannoveraner Projekts, ist ein guter Pädagoge. Er beginnt ein Fünfjahresprogramm zur Skulptur mit einer Retrospektive: Bis jetzt - Plastik im Außenraum der Bundesrepublik. Das Haupt-Ufo ist Hans Uhlmanns (1900-1975) Mahnmal zum Gedächtnis des Widerstands im Dritten Reich von 1960, ein siebeneinhalb Meter hohes Metallmonstrum mit drei dürren, langen Füßen, von deren statischem Treffpunkt aus drei bizarre Formen in den Himmel schießen. Figürlich gesprochen: zwei Flügel, ein Richtungsruder und ein Schwert. Dann ist es aber mit dem Figürlichen definitiv vorbei.

Der Georgengarten hat etwa die Form einer Hähnchenkeule, wobei eine breite Gehwegschneise den romantischen Park wie ein Knochen durchtrennt. Am Anfang dieser Schneise - am dicken Ende der Keule, im Rücken der Parkplatz - steht also das Gedächtnis-Ufo von Uhlmann. Man merke sich das Datum 1960, also zwischen Freß- und Reisewelle. Die Skulptur, nach der Kapitulation ängstlich zusammengeschrocken zu possierlichen Junge-und-Mädchen- oder Mann-und-Frau -Ensembles, meldet sich zurück, verspricht Erlösung von dem Übel und den Rampenstart in eine neue Zeit.

Wer dann den Spaziergang antritt, findet zwischen lockeren Baumgruppen, entlang des Wassers bis in die Verjüngung der Keule, einen Lehrpfad der nichtgegenständlichen Skulptur, die Romain als Quintessenz der letzten dreißig Jahre vorführt. Sechziger Jahre: Vor der Oper, vor dem Betriebstor oder dem Kunstverein steht ein komischer Gegenstand. Eine elegant sich spreizende Formation von stählernen Stäben auf einem Sockel (Norbert Kricke), ein schrundig aufgeplatzter Körper aus Bronze (Bernhard Heiliger), ein rundes Objekt, das seine glänzenden geometrischen Körper gerade eingezogen hat, um sich im nächsten Moment zu schließen (Erich Hauser). Städte, die auf sich halten, bestellen bei den Künstlern (Jahrgänge: 1915 -1930) neue Arbeiten; Leute, die nicht fürchten, als Nazis beschimpft zu werden, regen sich öffentlich auf. Die räumliche Nähe zu Institutionen sichert den Skulpturen ihr Überleben, bis sie vergessen werden (das heißt: nicht mehr gesehen).

Siebziger Jahre: eine neue Gesamthochschule auf grüner Wiese. Die raumgreifenden Kraken oder stürzenden Wände, fast ausschließlich aus rostendem Stahl (Heinz-Günter Prager, Wilfried Hagebölling) werden von aufgeschlossenen Studenten ohne Umschweife als Kunst identifiziert. Manche äußern Vorlieben, andere munkeln, die Sachen seien teuer gewesen; deshalb zeigt sich aber niemand verbittert. Einige kennen, jedenfalls nach der documenta 6 (1977) den Namen Beuys. Weil es keine Sockel mehr gibt, gehen die nun freistehenden Namensschilchen bald verloren.

Achtziger Jahre: Hier muß ich den Rundgang, verlegt an imaginäre gesellschaftliche Orte, unterbrechen. Denn Ende der siebziger Jahre haben die Amerikaner die Freiluftplastik von der Wurzel her umgekrempelt: Richard Serra biegt seinen tonnenschweren Roststahl gegen die Architektur, Walter de Maria versenkt seinen Erdkilometer ins Reich der Vorstellung, und Christo markiert Inseln und Täler in leuchtenden Farben. Land-art und Konzeptkunst verschränken sich. Die Bundesrepublik installiert neue Skulpturen namens Pershing II, der öffentliche Raum gehört den Demonstranten bzw. der Polizei. Im freien Deutschland wird wieder heftig gemalt. Das kann man natürlich im Georgengarten nicht sehen.

Dennoch, zurück: Wenn auch nicht im amerikanischen Maßstab, so gibt es doch ein paar sehr gute Skulpturisten, die gerade in den achtziger Jahren massive Anerkennung erfahren, Ulrich Rückriem und Reiner Ruthenbeck, Alf Lechner und Timm Ulrichs. Rückriem ist im Katalog von Bis jetzt auf den Künstlerseiten vertreten, aber nicht in der Ausstellung selbst. Das ist etwa wie eine Ausstellung mit italienischer Malerei des 16. Jahrhunderts ohne einen Caravaggio.

Die anderen aber sind souverän dabei: Ruthenbeck, Jahrgang 1937, hat an die Schneise Sieben schwarze Schranken gesetzt, die, in der Schrägstarre zwischen geöffnet und geschlossen festgeschraubt, an die Schrecken der Landesfürstenzeit erinnern (Kleists Kohlhaas) und diese noch alptraummäßig elegant steigern (Kafkas Schloß). Lechner (Jahrgang 1925) hat - er hat das nun lange geübt auf eine rostige Stahlplatte eine gebogene Schwester gesetzt, die mit artistischer Leichtigkeit zur Seite ausbricht (große Autos in schneller Fahrt haben manchmal diese Art exakter Brutalität, die schon fast wieder zärtlich wirkt). Und Timm Ulrichs (Jahrgang 1940) erweist sich wieder ganz als Meister des aufgeklärt-surrealen Ulks: in Sichtweise des Wilhelm-Busch-Museums hat er einen Abguß seiner selbst kopfüber in die Erde versenkt. Unter einer metallgefaßten Glasscheibe sieht man nur noch den Abdruck seiner Füße, falschherum, die Zehen, den Spann - der Rest verschwindet im Dunkeln.

Was an Ruthenbeck, Lechner und Ulrichs Spaß macht, ist, daß man in einer einzigen Arbeit ihre Fragen und Lösungen begreift. Das gilt für viele Skulpturen der sechziger und siebziger Jahre nicht. In der Gestalt maßlos bis esoterisch, im Materialgebrauch fetischistisch, in bezug auf die verwirrten Formen luxuriös zusammengeschusterter Nachkriegsstädte ignorant, betreiben sie eine Befragung von Formen, die im Atelier ihren Sinn macht und in der Retrospektive vielleicht zu veranschaulichen ist, aber vor Ort nichts hinterläßt als Befremdung. Hannover, historisch pflichtbewußt, schleppt sie alle mit: Franz Bernhard, Gisela von Bruchhausen, Wilfried Hagebölling, Erich Hauser, Thomas Lenk, Ansgar Nierhoff, Lun Tuchnowski. Noch nie gehört? Aber gewiß schon gesehen. Sie sind die Wesen vom anderen Stern, die ihre offenen Fragen als Lösungen vor unseren Augen niedersetzen, ihre Ufos der Subjektivität. Das wird oft vergessen: Weil das Kunstwerk bestellt ist, ist es noch lange nicht gut. Nicht jedes Unbehagen, das sich gegen ein Objekt richtet, ist per se reaktionär. Kein Kunstwerk repräsentiert die Kunst als Begriff, Institution oder Ganzes.

Den Anschluß an die Gegenwart findet Bis jetzt mit Rekurs auf die documenta 8 sowie die Skulptur-Projekte Münster (beides 1987) mühelos. Die Freilichtskulptur ist beweglicher geworden, intellektueller, frei vom Pathos des meißelschwingenden Bildhauers. Das hat auch mit den Institutionen zu tun, die diese neuen Skulpturen schützen (oder sich mit ihnen schmücken): Es sind die Skulpturprojekte selbst, die sie hervorgebracht haben. Ludger Gerdes - symptomatisch - montiert über einen stillen Tümpel die leuchtendgelben Buchstaben „ICHS“. Im Spiegelbild erscheint, identisch, das narzistische „ICH“, auf den ersten Blick mit Fragezeichen (auch wenn der Punkt fehlt). Eine gute Idee (für einen romantischen Garten), die aber noch ein bißchen darunter leidet, nur Idee zu sein.

Gleich nebendran: ein Ausstellungsfreilichtcafe, bis acht Uhr abends geöffnet. Bier vom Faß. Leider nur Kuchen: Wer ein paar Stunden Kunst ansieht, braucht Substantielleres.

Es ist wieder Skulpturenzeit, Raum für folgenschwere Aufträge, Volkszorn, Widerspruch, Erstellung von Konsens, Mut zur großen Geste. Als sich Kasper König und Klaus Bußmann in Münster - das war schon 1977 - daranmachten, die Geschichte der Skulptur aufzuarbeiten, veranstalteten sie eine Retrospektive im Museum (beginnend mit Rodin) und luden zeitgenössische Künstler ein, im Schloßpark zu arbeiten. Vom Park in die Stadt - dieser Weg wird auch in Hannover eingeschlagen werden, sagt Peter Ruthenberg, der Geschäftsführer des Projekts.

Rückweg bei Dämmerung, Schlußgedanken: Was den historischen Teil angeht, hat Lothar Romain für Hannover einen anderen Weg gewählt als damals die Münsteraner. Er verzichtet auf den Anschluß an die figürliche Kunst, er gibt keinen Hinweis auf den Einfluß Henry Moores sowie der konzeptuellen Amerikaner. Er verlegt eine historische Schau in den Park, was unverfänglich ist und zugleich Mißverständnisse ermöglicht: Die teils verstiegene „abstrakte“ (vor allem: nicht gegenständliche) Skulptur der Sechziger wird aus ihrem Kontext gehebelt - sie ist nämlich sehr wohl eine Art Kunst am Bau, deren behauptete Autonomie im Kontext des Gartens nun erst richtig ernst genommen wird. Eher sollte sie anschaulich infrage gestellt werden. Objekte, die konkret am Ort erarbeitet wurden (Gerdes, Radermacher), werden zwangsläufig verglichen mit anderen, die nur verpflanzt wurden (Ungleichheit im Raumbezug). Künstler, die in den Siebzigern wichtig waren, sind teils durch neue Arbeiten vertreten (Ungleichheit im Zeitbezug). Das ist im Fall der Arbeit von Alf Lechner vielleicht ein Glücksfall, verzerrt aber für ein Konzept Bis jetzt, das sich eigentlich nicht an der Chronologie der Geburtsdaten, sondern der Werke orientiert, die Perspektive. Der Rück- und Ausblick im Georgengarten ist bei den Hannoveranern auf Resonanz gestoßen, aber es hat sich eine gewisse Unschärfe eingeschlichen, die in der Diskrepanz von Plan und Ausführung liegt. Rückriems Abwesenheit ist da schon ein entscheidendes Indiz. Ob sich diese Unschärfe, wenn das Fünfjahresprojekt dann in Hannover - sicher, wg. Expo2000, mit verschärfter Eitelkeit - demnächst weitergeführt wird, rächt, mag der Besucher nicht raten.

Bis jetzt. Plastik im Außenraum der Bundesrepublik. Georgengarten, Hannover-Herrenhausen, bis zum 20. September 1990

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