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Wie deutsch ist meine Gebärmutter?

■ Ein Blick auf die gespaltene Frau in einer unsicheren Zukunft

Gehe ich in Leipzig in eine Klinik, um eine Abtreibung machen zu lassen, werde ich bestraft. Weil ich in der Bundesrepublik wohne. Bundesrepublik? Wie das? Spätestens im Oktober bin ich doch eine gesamtdeutsche Frau. Mit gesamtdeutsch gültigem Ausweis, oder? Hätte ich einen Ehemann, so wäre auch dieser ab dem Oktober ein gesamtdeutscher Mann, ganz und gar, mit gesamtdeutsch gültigem Ausweis.

Bei mir als Ehefrau wäre das anders. Die seit November letzten Jahres glorreich beseitigte Grenze zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost läuft ab Oktober diesen Jahres mitten durch meine Gebärmutter. Ich bin zwar dann eine gesamtdeutsche Frau mit einem gesamtdeutschen Ausweis, aber meine Gebärmutter ist mal gesamtdeutsch, mal aber bundesdeutsch - je nach Perspektive.

Zeugten mein Mann und ich ein Kind, zeugten wir, auch wenn wir schon morgen zu Werke gingen, gesamtdeutschen Nachwuchs. Unser Kindchen könnte optimistisch in die deutsch -einheitliche Wirtschaftsaufschwungszukunft blicken. Brächte ich beispielsweise einen Sohn zur Welt, wäre er im Augenblick seiner Geburt Anwärter auf den Dienst bei der zukünftig gesamtdeutschen Armee. Wobei ich natürlich hoffen würde, daß mein Söhnchen als Zivildienstleistender die dann noch größere Not der gesamtdeutschen Alten lindern helfen würde. Hätte ich eine Tochter und wohnte an der ehemaligen Grenze, könnte ich sie beispielsweise im Ex-DDR-Städtchen Nordhausen im Harz in den Kindergarten schicken. Später könnte sie dann in Dresden oder in Saarbrücken zur Schule gehen, niemand würde nach Ost und West fragen. Also: Meine Gebärmutter könnte jede Menge gesamtdeutsche Zukunft hervorbringen und ist insofern eine gesamtdeutsche Gebärmutter.

In dem Moment jedoch, wo ich beschließe, kein Kind zur Welt zu bringen, obwohl bereits ein (ab Oktober) gesamtdeutscher Zeugungsakt stattgefunden hat, habe ich keine gesamtdeutsche Gebärmutter mehr, sondern eine bundesdeutsche. Diese untersteht nicht den zukünftigen gesamtdeutschen Gesetzen, sondern den ehemaligen (denn die Bundesrepublik gibt es ja dann nicht mehr) bundesdeutschen Gesetzen und ist insofern bei diversen Ärzten wegen Indikationsstellung und Beratung vorzuzeigen. Wegen meiner bundesdeutschen Gebärmutter muß ich also als gesamtdeutsche Frau in München oder Hamburg vor einer Abtreibung mehr Ärzte aufsuchen, als in Rostock oder Dresden.

Soweit logisch. Wirklich schwierig wird die Sache, wenn ich bestraft werden soll, weil ich nicht in Hannover, sondern in Leipzig in eine Klinik gehe, um abtreiben zu lassen. Meinen bundesdeutschen Verfolgern stellt sich dann nämlich folgende Frage: Wie fängt man auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine gesamtdeutsche Frau mit bundesdeutscher Gebärmutter? Paßkontrolle vor dem gynäkologischen Stuhl?

Bettina Markmeyer

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