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Vorgeschmack der kommenden Anarchie

■ Die Dritte Welt geht einer wachsenden Welle zielloser Aufstände entgegen

GASTKOMMENTAR

In Saudi-Arabien will sich die gemeinsame arabische Truppe gleichsam als friedensstiftender Puffer zwischen amerikanische und irakische Truppen schieben. In Sierra Leone sammelt sich zur gleichen Zeit zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten vor drei Jahrzehnten eine multinationale westafrikanische Friedenstruppe. Sie soll die Gegner im sieben Monate alten liberianischen Bürgerkrieg endlich voneinander trennen. Doch man darf daran zweifeln, ob diese Truppe wirklich zusammenkommt und dann auch bis Monrovia gelangt - nach Aussage des ghanaischen Oberkommandierenden fehlen Schiffe und Flugzeuge für den Transport der gerade 2.000 Mann starken Truppe.

Gleichsam als Beweis afrikanischer Ohnmacht haben in dieser Woche amerikanische Hubschrauber mehr als achtzig Europäer aus der umkämpften Hauptstadt Monrovia in die Sicherheit amerikanischer Kriegsschiffe vor der Küste ausgeflogen. Problemlos. Derweil können sich der - nach anfänglichem Zögern - fast ein Jahrzehnt lang von den USA ausgehaltene Diktator Samuel Doe und die zwei ebenso dubiosen, einander mörderisch bekämpfenden Rebellenorganisationen weiterhin auf nur wenigen Quadratkilometern im Stadtkern von Monrovia einen Kampf bis auf die letzte Handgranate liefern. Es ist ein Kampf, in dem keine Gefangenen gemacht werden. Opfer dieses Kampfes der „warlords“ ist die afrikanische Zivilbevölkerung.

Deshalb haben sich die Botschafter europäischer Staaten in Liberia schon vor Wochen über das Gemetzel beider Seiten entrüstet. Zu Recht, aber doch viel zu spät. Dringlicher und ehrlicher wäre ein ultimativer Appell an den seit über 150 Jahren im Land präsenten großen Protektor USA gewesen, endlich dem Treiben des Diktators Doe in seinem Führerbunker des Executive Mansion ein rasches Ende zu bereiten.

Denn anders als am Golf ist dieses Ende binnen weniger Stunden herbeizuführen. Doch nichts geschieht. Nahezu ein Jahrzehnt lang hat der Westen das diktatorische Killer -Regime des Samuel Doe bedenkenlos mit Waffen ausgerüstet, hat Israel seine mordende Geheimdiensttruppe ausgebildet. Heute sieht der Westen dem Treiben entrüstet, aber tatenlos zu. Ganz so wie auch anderswo in der Dritten Welt. Überall hin werden Waffen, Blaupausen oder - schlimmer noch - gleich ganze Fabriken für die lokale Herstellung von Waffen geliefert. Die dienen dann der Unterdrückung des Volkes durch die jeweiligen Gewaltherrscher.

Und dann entrüstet man sich, wenn von Liberia bis Peru allenthalben Aufstände ausbrechen. Die werden nicht nur immer gewaltsamer, sondern auch politisch zielloser. Denn ideologisch-disziplinierende Zuchtmeister a la Mao Ze Dong, Ho Chi Minh oder Fidel Castro haben sich dort bislang nicht „entwickelt“.

Gerd Meuer, Freier Journalist und Afrika-Spezialis

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