: Nach Narkose: Alle Zähne weg
■ Professor zog wehrlosem Müllwerker 25 Zähne
Weil er einem 39jährigen Müllwerker ohne dessen Einverständnis in Vollnarkose alle 25 Zähne gezogen hatte, muß ein 46 Jahre alter Kieferchirurg aus Düsseldorf seinem Opfer erst einmal 20.000 Mark Schmerzensgeld bezahlen. Außerdem erlegte ihm das Lüneburger Schöffengericht am Donnerstag die Zahlung von 5000 Mark an die Staatskasse auf. Damit ist das Strafverfahren gegen den in Krefeld tätigen Mediziner vorläufig eingestellt.
„Nicht, daß ich aus der Narkose aufwache und habe keine Zähne mehr“, unkte der Patient...
Die beteiligten Juristen rechnen jetzt mit einem aufwendigen, mehrjährigen Zivilprozeß, bei dem es um Forderungen von rund 15000 Mark gegen den zweifach promovierten Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Universitätsprofessor geht.
Zu dem von dem Angeklagten nicht bestrittenen Kunstfehler war es gekommen, als er einen verunglückten Lüneburger Kollegen in dessen Praxis vertrat. Der Müllwerker war dort erschienen, nachdem seine Zahnärztin einen vereiterten Backenzahn im rechten Oberkiefer nicht ziehen konnte. „Sie gab mir eine Betäu
bungsspritze nach der anderen, ohne daß sich eine Wirkung zeigte. Also sollte in Vollnarkose gezogen werden“, berichtete der Familienvater vor Gericht. Der Lüneburger Kieferchirurg habe den Eingriff als problemlos bezeichnet.
Als sich der Müllwerker im Städtischen Krankenhaus einfand, in dem der Chirurg Belegbetten hat, war die Visite des aus Düsseldorf eingesprungenen Professors gerade beendet. Der Patient verlangte ihn noch einmal vor dem Eingriff zu sprechen: „Nicht, daß ich aus der Narkose aufwache und habe keine Zähne mehr“, unkte er gegenüber der Krankenschwester.
Der Alptraum wurde wahr. Der Professor, der an diesem Vormittag 15 Operationen auszuführen hatte, besah sich zuvor nur das Röntgenbild und das Ambulanzblatt, auf dem vermerkt war: „Termin für Zähne ex“. Warum der Arzt daraus schloß, alle Zähne ziehen zu sollen, blieb vor Gericht ungeklärt. „Ich war der festen Überzeugung, daß das mit meinem verunglückten Kollegen so besprochen war“, verteidigte sich der Professor. Für ihn sei es auch völlig ungewöhnlich gewesen, daß beim Ziehen nur eines Zahnes eine Vollnarkose gemacht werden sollte.
Fortgeschrittene Zahnfleischentzündungen und Löcher in den Zähnen hätten überdies seine
Meinung verfestigt, daß das ganze Gebiß „innerhalb von einigen Monaten“ ohnehin hätte entfernt werden müsse. Diese Einschätzung veränderte der Arzt nach intensivem Nachfragen des Gerichts und sprach schließlich von „einigen Jahren“.
Als sich der Patient nach dem Eingriff mit eingefallenen Wangen vor dem Spiegel betrachtete, verlor er die Nerven. „Ich bin in die Praxis getobt und habe mich furchtbar aufgeregt. Irgend jemand sagte mir, für den Schaden würde man schon aufkommen“, erinnerte sich der heute 41jährige Patient vor Gericht. Zu der Qual, lange Zeit nichts Richtiges essen zu können, sei der Spott der Arbeitskollegen gekommen: „Da kommt ja der Zahnlose!“ Auch in seiner Familie seien erhebliche Spannungen aufgetreten, „weil ich immer gleich in die Luft ging“. Eine Prothese, die er jetzt durch Implantate ersetzt haben möchte, bekam er erst nach fast drei Monaten. ln
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