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Von schwarzen Schafen und frommen Lämmern

■ Kaffeefahrten: KäuferInnen von Naturhaarbetten fühlen sich betrogen / Vertriebsfirmen beharken sich gegenseitig mit Vorwürfen

Von Claudia Wuttke

Die Revolution der Bettdecke steht den DDR-BürgerInnen noch bevor. Das jedenfalls versuchen die Vertreter von Naturhaarprodukten den KundInnen weiszumachen. In Ost -Berlin, aber auch in anderen Städten der DDR, häufen sich die Angebote zur Teilnahme an kostengünstigen Kaffeefahrten mit integrierter Werbeverkaufsveranstaltung. Der Sahne-Nuß -Kuchen ist längst verdaut, aber die Erinnerung an diesen Tag bereitet vielen TeilnehmerInnen noch darüber hinaus Bauschmerzen.

Das Verbraucherzentrum in Ost-Berlin verbuchte Mitte August die meisten Beratungen auf das Konto Naturhaarbetten. Deren KäuferInnen fühlen sich im nachhinein übervorteilt, möchten ihre „Europa-“, „Kuschel-“ oder sonstige Kissen wieder loswerden und den Kaufvertrag stornieren. Anfangs waren sie beeindruckt: Daß sie in luftundurchlässigem Stahlbeton und ebensowenig atmungsaktiven Federbetten schliefen „wie in Tschernobyl“, gab der Mitarbeiter einer Planeta GmbH bekannt. Und daß sich in den weichen Daunen Millionen von Mikroorganismen tummeln, die sich an den menschlichen Schuppen laben. Wer die Lust, sich abends im mollige Bett zu kuscheln, nicht auf ewig verlieren wolle, der greife zu...

Aber die Ernüchterung ließ zuweilen nicht lange auf sich warten. Die Ostberlinerin Hilde Pietsch (Name von der Redaktion geändert) zum Beispiel hatte sich Ende Mai während einer Fahrt in den Teutoburger Wald zwei „Lama-Gold-Betten£ und zwei Kuschelkissen zum Preis von 1.996 DM aufschwätzen lassen, weil sie und ihr Lebensgefährte seit Jahren an einer Gelenkarthrose leiden. Der Händler habe ihr „versprochen“, in den Qualitätsbetten ganz schmerzfrei schlafen zu können, und auf ihre Medikamente könne sie nach dem Kauf gleich ganz verzichten.

Wird da Schindluder getrieben mit dem Leiden und der Hoffnung kranker Menschen? Die Firma Lama Gold, die die Decken vertreibt und im westfälischen Schloß Holte -Stukenbrock ansässig ist, weist den Vorwurf zurück. In einer schriflichen Stellungnahme heißt es, daß „weder wir noch ein Mitarbeiter unserer Firma in den Veranstaltungen oder sonst wie mit dem Heilmittelgesetz“ würben. Also hat sich Hilde Pietsch schlecht erinnert? Oder ist der Versprecher durch das unternehmerische Kontrollsystem gerutscht?

Daß die Produkte des Unternehmens hochwertig seien, soll jedenfalls ein Gutachten des Deutschen Wollforschungsinstitutes in Aachen beweisen. Danach bestehen die von Lama Gold eingesandten Gewebeproben tatsächlich aus „100 Prozent Natur im Flor“, wie das Etikett verspricht. Eigene Erfahrungen machte hingegen der Schlafdeckenkäufer Hans-Rudolf Pooch, der ebenfalls ein Gutachten anforderte beim gleichen Institut. Aus ihm geht hervor, daß die eingeschickten Fasern nicht halten, was sie versprechen: Statt „100 Prozent Merino-Lamm-Wolle“ ließ sich gerade ein Zehntel des versprochenen Wertes nachweisen. Auch die Kopie dieses Schriftstückes wird vom Lama-Gold-Sprecher freigiebig verschickt. Nur stammt die Ware nicht von Lama Gold GmbH, sondern von der Obermeier GmbH. Beide haben ihren Sitz in Schloß Holte-Stukenbrock, beide bekämpfen sich bis aufs Messer.

Geschäftsinhaberin Obermeier ist „platt“, als sie von dem Gutachten hört: „Da steckt bestimmt Lama Gold dahinter.“ Das in dem Gutachten erwähnte Etikett mit der Aufschrift „Das Echte, Baby-Lama-Alpaca, Obermeier“ kenne sie gar nicht. Außerdem seien ihre Produkte alle mit dem Wollsiegel -Qualitätszeichen versehen. Vom Vorwurf minderer Qualität habe sie noch nie gehört.

Das ist merkwürdig, denn Kunde Pooch gibt an, für seine Decke bereits den Kaufbetrag zurückerhalten zu haben. Jetzt, so Pooch, klage er noch die Kosten für das Gutachten ein. Auch sein erster Wohnsitz ist übrigens Schloß Holte. Geschäftsinhaberin Obermeier behauptet dagegen: „Wir haben keine Kunden aus dem Umfeld.“ Komisch: Alle reden von den „schwarzen Schafen“ der Branche und sind selbst doch lammfromm.

Aber manchmal wird auch zum Vorteil gewendet, was für die Kundschaft sich nicht eben als das Günstigste erweist: „Auf unseren Kaufverträgen wird ausdrücklich auf das zweiwöchige Rücktrittsrecht hingewiesen, und diese Widerrufsbelehrung wird sogar noch von dem Kunden unterschrieben“, heißt es in dem Schreiben von Lama Gold. Das ist es ja! Würde die KäuferIn nicht unterschreiben, dann würde sich das Rücktrittsrecht auf „vier Wochen nach letzter Leistung“ verlängern, erklärt der Pressesprecher des Dezernats für Wirtschaftskriminalität in Ost-Berlin, Baumann.

Wo der legale Wettbewerb aufhört und das kriminelle Konkurrenzverhalten beginnt, wird gerade von der Staatsanwaltschaft im badischen Mosbach geprüft. Sie ermittelt gegen die Firma Lama Gold wegen Verdachts auf unlauteren Wettbewerb. Wegen der freigiebigen Versendung von Gutachten? Über Einzelheiten schweigen sich die beteiligten Stellen aus. Branchengerüchten zufolge sollen hinter diesem Verfahren wiederum die Lama-Gold-Konkurrenten stehen. Den VerbraucherInnen hilft das Firmen-Hickhack ohnehin wenig; sie können meist nur vorbeugend geschützt werden - durch Aufklärung. Da ziehen das ostdeutsche Handelsministerium, die Kripo Ost und West sowie das Verbraucherzentrum gemeinsam an einem Strang. Sie warnen vor „blauäugigem Hereinfallen“ auf die verlockenden Kuschelkissen und machen klar, daß das, was „moralisch verwerflich juristisch noch lange nicht verurteilenswert ist“. Frau Pietsch jedenfalls stellt für Lama Gold keine Gefahr dar. Unabhängig davon, was ihr von einem schwarzen Schaf versprochen wurde - ihre Rücktrittsfrist hat sie versäumt, und deswegen bekommt sie kein Geld.

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